Auf der Suche nach dem besseren Leben
Buch Eins nach dem Man Booker Prize: Der indische Autor Aravind Adiga knüpft in seinem zweiten Buch thematisch an sein Debüt Der weiße Tiger an, drosselt aber Tempo und Witz. Eine Rezension von Frank Rumpel.
Aravind Adigas mit dem Man Booker Prize ausgezeichnete Debütroman Der weiße Tiger schlug in Indien hohe Wellen. Der Roman verkaufte sich, auch auf dem Schwarzmarkt, prächtig. Gleichzeitig wurde Kritik laut, das Bild, das er darin von der indischen Gesellschaft zeichne, sei viel zu negativ. Adiga hatte mit seinem satirisch zugespitzten Buch über einen Diener, der sich aus seinem gesellschaftlichen Zwangskorsett befreit, seinen Herrn ermordet und zum erfolgreichen Unternehmer in Bangalore wird, Widerstände provoziert. Die indische Mittelschicht, auf die seine Kritik abzielte, habe den Kontakt zur Realität längst verloren, sagte er in einem Interview. Mit seiner Geschichte wollte der ehemalige Journalist Adiga einige Vorstellungen von Indien zurecht rücken. Bei ihm findet man weder Yogis, noch Spiritualität, keine Farbenpracht und keine weichgespülte Exotik. „Hätte ich ein Buch über Indien geschrieben, das hier von allen Seiten Applaus bekommen hätte, wäre das der sichere Beweis dafür, dass mit dem Buch irgendetwas nicht stimmt“, meinte Adiga.
In seinem neuen Buch Zwischen den Attentaten bleibt er seinem Thema zwar treu, nimmt aber etwas Gas weg und hat einen deutlich bodenständigeren Ansatz gewählt. Die 14 Erzählungen handeln von Menschen, die nicht gewillt sind, sich den religiösen oder gesellschaftlichen Zwängen länger zu beugen, die auszubrechen versuchen – und scheitern.
Angesiedelt hat Adiga sein Buch in der fiktiven Stadt Kittur an der Südwestküste Indiens. Dort treffen Hindus, Moslems und Katholiken aufeinander, ist das Kastenwesen noch ein wichtiger Pfeiler der gesellschaftlichen Ordnung, kommen täglich Tagelöhner vom Land in die Stadt, auf der Suche nach dem guten, oder zumindest etwas besseren Leben. Zeitlich hat Adiga seine Geschichten zwischen den beiden Attentaten auf Indira Gandhi im Jahr 1984 und das auf ihren Sohn und Nachfolger Rajiv Gandhi 1991 angesiedelt.
Gefangen in Konventionen, gesellschaftlichen und religiösen Zwängen
Da ist etwa die Erzählung des Fabrikanten Abbasi, der nicht will, dass seine Näherinnen von ihrer Arbeit langsam erblinden. Gleichzeitig ist ihm das ganze korrupte Spiel zuwider, das er mitspielt, um seine Fabrik am Laufen zu halten. „In drei Disziplinen sind wir Weltmeister“, erklärt ihm ein Bekannter: „Schwarzmarkt, Produktfälschungen und Korruption. Wenn die zu den Olympischen Spielen zugelassen wären, würde Indien in allen drei Gold, Silber und Bronze gewinnen.“
Ein Junge aus der Provinz bringt es in Kittur bis zum Busschaffner. Er ist ehrgeizig und der Liebling seines Chefs. Als er bei einem Unfall schwer verletzt wird, sitzt er wieder auf der Straße. Sein ehemaliger Arbeitgeber hat ihn kurzerhand durch einen anderen Jungen ersetzt. Ein Fahrradkurier will raus aus dem Trott und wird bei jedem Versuch doch nur ausgenutzt. Als er für eine politische Partei Plakate klebt, bekommt er als Dank für den späteren Sieg ein paar Süßigkeiten angeboten. Eine Brahmanin, eigentlich die oberste Kaste im hinduistischen System, wird von ihrer Schwester seit 40 Jahren als Haushaltshilfe herumgereicht und hält sich seelisch vor allem mit ihrem Kasten-Stolz über Wasser. Ein Tagelöhner bringt es bis zum Gärtner einer jungen, reichen Frau, doch wird er sofort geschasst, als er ihr zu nahe kommt.
Adigas Figuren sind gefangen in Konventionen, gesellschaftlichen und religiösen Zwängen. Die Schranken im Kopf tragen ihren Teil dazu bei. Mal bremst sie das eine, dann wieder das andere aus. Er erzählt gleichermaßen von den Recht- und Lobbylosen, wie von denen, die plötzlich das Ausmaß von Korruption und Intrigantentum entdecken. Gelegentlich ächzen die Erzählungen etwas unter dem moralischen Ballast, den der Autor ihnen aufzwingt, doch meist gelingt ihm jener leichte, mit einem bissigen Witz unterlegte Erzählton, der schon seinen Erstling prägte, wenngleich er hier etwas gedämpfter daher kommt.
Zusammen gehalten werden sollen die Geschichten durch einen Erzähler, der den Leser in einer siebentägigen Tour durch die Stadt Kittur führt, ihn auf Sehenswürdigkeiten aufmerksam macht und damit knapp die Schauplätze, etwa das Pornokino oder die Kathedrale, für die folgenden Erzählungen vorstellt. Dieses Konzept allerdings geht nicht auf. Dafür sind die Texte zu losgelöst von den Geschichten, erhellen nichts, was nicht auch dort hätte erzählt und über die Figuren enger zusammen geschnürt werden können.
Adiga erzählt in vielen Fällen fein austariert von einem leisen Brodeln in der indischen Gesellschaft, von einem individualisierten Aufbegehren, ohne Chance auf Erfolg. Denn meist treffen die Vorstellungen und Ideen der Protagonisten und ihren kleinen Welten auf den hartnäckigen Widerstand der Realität, an der sie zerbröseln.
Frank Rumpel
Aravind Adiga: Zwischen den Attentaten. Geschichten aus einer Stadt (Between the Assasinations, 2009).
Deutsch von Klaus Modick.
München: C.H.Beck 2009. 376 Seiten. 19,90 Euro.