Bas Böttchers Vielseitingitis
– Als Mitbegründer der deutschsprachigen Poetry-Slam-Szene ist Bas Böttcher seit Anfang der 90er-Jahre eine feste Größe in der Literaturszene. Nicht nur live präsentiert sich der Meister des Sprachwitzes dabei in Topform, wie die nun erschienene erste umfassende Sammlung seiner Sprechtexte beweist. Von Jörn Borges
Sein neuer Band „Vorübergehende Schönheit“ ist jedoch mehr als nur schmissiges Sprachspiel. Es geht um die Schönheit des Augenblicks:
„Für die vorübergehende Schönheit, die anhaltende Zeit
sie passiert dir, sie passiert dich
im Vorbeigehen ein Blitzen, das bleibt.“
Es geht um das Laufen durch Spiegelkabinette des Alltags und den Trost im Sprachspiel:
„Manchmal lauf ich Gefahr, aber wenigstens lauf ich
manchmal geh ich verloren, aber wenigstens geh ich
manchmal spiel ich verrückt, aber wenigstens spiel ich.“
Dabei ist auch das scheinbar Zufällige nicht dem Zufall überlassen. In „Syntax Error“ öffnet Bas Böttcher programmatisch durch den Fehler die Enge des Systems:
„Aus falsch mach ich Flash
Aus Fehler mach ich Flair.“
Mit slapstickhafter Ironie stellt er sich gegen die reibungslosen Abläufe unserer Freizeitwelt, indem er in „Vom Abheben“ die Kontrollbeamtin am Flughafen preist:
„Sie inspiziert die Taschen/ und durchwühlt die Sachen (…)
korrigiert Lidschatten
mit milder Stimme und lieblichem Lachen
fragt ohne Verlegenheit leicht und frei
Haben sie Flüssigkeiten dabei?“
Einer seiner stilistischen Väter ist hierbei Erich Kästner. An „Die Einfachheit“ hätte der seine Freude gehabt:
„Und lief es wie geschmiert
irgendwas ist einfach immer
und nichts immer einfach
die Einfachheit ist kompliziert.“
Dass Bas Böttcher eine Rap-Vergangenheit hat, zeigt sich auf der beigefügten CD, in der die Texte zur Partitur des virtuosen Sprechkünstlers werden. Was das Auge in „nachtleben/ nachbeben“ als wirre Buchstabenreihen liest, wird in Böttchers Mund zur bösartigen Beatbox mit Überraschungsmomenten.
Eine echte Bereicherung sind die beiden anschließenden Kapitel „Neonomade“ und „Dies ist kein Konzert“. Sie nehmen das „Best of“ der vergangenen Jahre auf und machen wieder Textbände zugänglich, die mittlerweile vergriffen sind. Es ist gut, dass – anders als im Klappentext angekündigt – nicht nur auf Texte seit 2006 zurückgegriffen wurde. Sonst wären wir nämlich um die genialen „Drei Jahreszeiten“ gekommen, könnten nicht die von Pop-Poetry geprägte Romantik von „Diesige Tage“ kennenlernen und würden den genialen Rhythmuswechsel in „Cooler Winter“ verpassen, mit dem uns Bas Böttcher mitnimmt auf eine Abfahrt in einer verschneiten Winterlandschaft, um uns am Ende des Tages zufrieden in die Federn unseres Bettes fallen zu lassen.
Und wir würden uns nicht fragen, warum „Sommersonne“ 1999 (damals noch mit der Rap-Formation Zentrifugal ) eigentlich kein Sommerhit geworden ist:
„Wir treffen uns am Abend zum Chillen und zum Baden
Da wo in der Luft die Libellen schwirren und im
Fluss die Forellen schwimmen, da stimmen die Vibes. Also
schreib´s mit der Hand in den Strandsand am Sommersonnen-
sandstrand und hol dir die Fanta vom Strandstand
Als Erfrischung – aber kühl
Fürs Sommersonnengefühl!“
Vielleicht lag es daran, dass nicht so viele mitsingen konnten. Vielleicht setzt sich am Musikmarkt aber auch mehr die „Vielfalt im Standardformat“ durch, die Bas Böttcher in „Freiheit im Quadrat“ sein lyrisches Ich ironisch bewundern lässt:
„Ich hatte Multitalentose
und litt an Nonkonformie
Ich hatte Vielseitingitis
und ne Normalallergie
Dann fand ich meine Freiheit im Quadrat
Dann fand ich Vielfalt im Standardformat.“
Hoffen wir, dass Bas Böttcher noch viele Rückfälle in von ihm beschriebene Krankheiten erleidet.
Jörn Borges
Bas Böttcher: Vorübergehende Schönheit. Dresden: Verlag Voland & Quist 2012. 128 Seiten + Audio-CD. 16,90 Euro.