Geschrieben am 14. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Benjamin Lebert: Der Vogel ist ein Rabe

Weggefährten für die Dauer einer Nacht

Zwischen Authentizität und Küchenphilosophie – Shooting-Star Lebert legt seinen zweiten Roman vor.

Mit 16 Jahren wurde Benjamin Lebert mit Crazy zu einem der prominentesten Vertreter der jungen deutschen Literatur. Sein Debütroman über die Pubertät eines halbseitig gelähmten Jungen im Internat wurde vom Feuilleton hochgejubelt, in Deutschland 500.000 mal verkauft, in 33 Sprachen übersetzt und erfolgreich verfilmt. Jetzt ist er 21 Jahre alt und legt seinen zweiten Roman vor: Der Vogel ist ein Rabe.

Egal ob der Inhalt lesenswert oder langweilig ist, ob die Kritiker es mit Lob überhäufen oder zerreißen würden, eins stand von Anfang an fest: viele, vor allem junge Leute werden das Buch kaufen. Wegen Crazy. Wegen Lebert. Wegen des Medienrummels. Ein vorprogrammierter Bestseller, bei dem Erfolg und Qualität zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Plaudern über das Leben und die Liebe

Die Idee ist klug und auf 127 Seiten knapp und konsequent entwickelt: Henry und Paul, zwei problembeladene Jugendliche Anfang 20, treffen sich auf einer Zugfahrt von München nach Hamburg und plaudern über das Leben, die Liebe, die Sehnsucht, jemand anders sein zu wollen, und andere Sinnfragen, wie Jugendliche mit 20 eben über solche Themen reden.

Zwei Weggefährten für die Dauer einer Nacht. Henry erzählt die Geschichte einer dramatischen Dreiecksbeziehung, in die er aufgrund seiner Liebe zur magersüchtigen und über fünf Jahre älteren Christine geraten ist. Ohne Hemmungen beschreibt er seine Wünsche und Ängste, seine Außenseiterstellung und seinen krankhaften Dauerdurchfall, der ihm das Leben schwer macht. Der Ich-Erzähler Paul hört zu, kommentiert knapp und denkt dabei an die Tragödie, die er in Berlin mit einer Edelprostituierten erlebt hat.

Es wäre ein Leichtes das Buch zu zerreißen. Die Reihung primitiver Hauptsätze hat nicht immer den Charme nüchterner Knappheit. Vieles ist banal und kitschig, anderes effekthascherisch und viel zu offensichtlich, um provokant zu sein. Die meisten dazwischengeschobenen Gedanken haben die philosophische Qualität altkluger Klosprüche und wollen nicht zu den jungen Figuren passen. Und manchmal erreichen Leberts Erklärungen nicht einmal das Niveau der „Sendung mit der Maus“: „Magersucht ist eine ganz komische Krankheit. Man isst einfach nichts. Man wird immer dünner, bis man stirbt. Es ist was Psychisches.“

Unsicherer Sinnsuchender

Bei all dem darf man aber nicht vergessen, dass es Lebert an anderer Stelle gelingt, sich auf unterhaltsame Weise den Fragen zu nähern, die die angepeilte jugendliche Zielgruppe beschäftigen, wie die regen Diskussionen auf seiner Internetseite beweisen: „Wer bin ich eigentlich?“, „Was ist der Sinn des Lebens?“, und: „Wie werde ich erwachsen?“. Lebert selbst ist ein unsicherer Sinnsuchender, der sich manchmal wegwünscht von diesem Planeten, wie er in Interviews unverblümt zugibt, und wenn es darum geht, Momente der Einsamkeit und Weltverlorenheit zu beschreiben, erreicht er die Intensität unmittelbarer Authentizität. „Ich beschreibe Momente, in denen du nicht mehr kannst und ausflippst. Es ist ja eh nur ein schmaler Grat, dass man nicht komplett ausflippt im Leben.“

Leider zerstört der Knalleffekt am Ende des Buches viele dieser Authentizitätsmomente. Entweder man nimmt nicht ganz ernst, was da geschrieben steht, oder aber der Erzähler und damit der Inhalt des Buches verlieren ihre Glaubwürdigkeit. Fest steht: würde es sich beim Autor nicht um Benjamin Lebert handeln, der vor vier Jahren mit Crazy den überraschendsten Bestseller der jungen deutschen Literatur gelandet hat, dann würde man über Der Vogel ist ein Rabe nicht viele Worte verlieren. Denn übers Erwachsenwerden und die erste große Liebe haben andere schon viel bessere Romane geschrieben.

Markus Kuhn

Benjamin Lebert: Der Vogel ist ein Rabe. KiWi 2003. Taschenbuch. 127 Seiten. 9,90 Euro.