Bloody Chops
– heute dargeboten von Christiane Geldmacher (CG), Frank Rumpel (rum), Anna Veronica Wutschel (AVW) und Friedemann Sprenger (Frisp)
El Stoffo Grandioso
(CG) Und wieder wurde von der Edition Phantasia ein monumental unerträgliches Buch von Rex Miller voll echtem Menschenhass, voll echter Mordlust und voll echtem Splatter veröffentlicht. Was allerdings – wie immer interessant gemacht von Rex Miller – von einer veritablen, da unvorhersehbaren Romanze konterkariert wird – und nicht zuletzt deswegen bis zum Schluss spannend bleibt.
Der Plot: Das US-amerikanische Militär sucht Serienkiller für die Drecksarbeit: illegale Interventionen, gezielte Attentate, Terrorabwehr, dafür bräuchte man ein paar skrupellose Leute. Keiner eignet sich dafür mehr als der brutale Daniel Edward Flowers „Chaingang“ Bunkowski – ein Serienkiller wie gemalt, der in einer Welt voller Scheiße und Gewalt aufgewachsen ist. Und willens, sie weiter zu geben. Er stillt seine Bedürfnisse, als da sind: töten (mit einem gezielten Schlag seiner Eisenkette) und dann die Herzen der Opfer essen. In diesem Buch sind es derer 20.
Das Problem: Auch so einer wie Chaingang lebt nicht ewig. Er ist schon 50plus, sein Fett geht ihm auf die Gelenke, er ist nicht mehr so spritzig wie früher. Also wollen sie ihn – quasi – in der Feldforschung studieren und pachten in der Nähe eines US-amerikanischen Kaffs namens Waterton ein großes Gelände, das sie ECOWORLD nennen und das als Umweltpark getarnt ist. Doch Chaingang – minuziös überwacht – kapiert schnell, worauf das Ganze rausläuft und büchst aus.
Millers Text ist intelligent zusammengeschraubt, multiperspektivisch, spannend erzählt; manchmal weiß der Leser mehr, manchmal weniger, es gibt interessante Leerstellen, die nicht auserzählt werden, ein rasantes Erzähltempo, harte Schnitte und viel schwarzen Humor. Zwischendurch ist die Handlung mal etwas verdaddelt, aber das macht nichts. Das Buch ist was für Splatterfans, natürlich. Für Nicht-Splatterfans wird’s vielleicht ein bisschen eng.
Aber eine Frage haben wir noch an den Verlag: Ab wie vielen Fehlern gibt es eigentlich eine Money-back-guarantee? Dieses Buch hatte offenbar kein Schlusskorrektorat: Rechtschreibung, Zeichensetzung, Grammatik, Satz/Absatz-Zuordnung, fehlende Buchstaben – you name it. Das ist für 19,90 Euro nicht gut genug.
Rex Miller: Chaingang (Chaingang 1992). Kriminalroman. Deutsch von Joachim Körber. Ca. 400 Seiten. Phantasia Paperback Crime 4005. 19,90 Euro.
Verlagsinformationen zum Buch.
Otto Kuhala aus Jyväskylä
(rum) Der Privatdetektiv Otto Kuhala aus dem beschaulichen südfinnischen Jyväskylä soll den Mord an einem Schmuckhändler mit zerrütteten Familienverhältnissen aufklären und nebenher auf einer Baustelle geklautes Werkzeug wiederfinden. Den Dieb hat er schnell ausgemacht, doch verlässt auch der alsbald die Welt. Eine Spur weist ins benachbarte, russische Karelien, wo sich Kuhala mit seinen Nachforschungen rasch Feinde macht. Im Visier hat ihn aber auch die Polizei, weil er an beiden Tatorten war. Vor allem aber ist der zu sachter Melancholie neigende Kuhala nach seiner Scheidung unglücklich verliebt, worüber nachzudenken einen Gutteil seiner Zeit in Anspruch nimmt. Das hört sich zunächst nach der ziemlich gewöhnlichen x-ten Variation einer Geschichte mit dem üblichen Personal an, die man so oder so ähnlich sicher schon mal gelesen hat. Nur war die eben nicht von Markku Ropponen geschrieben.
Der finnische Autor (von dem der Piper-Verlag im Vorjahr den Roman „Finnischer Mitsommer“ veröffentlichte und die Taschenbuchausgabe kommenden Herbst unter dem Titel „Reusenkadaver und andere Unannehmlichkeiten“ auf den Markt bringen wird) erzählt präzise, dabei frisch und pointiert. Mit herrlich trockenem Humor spürt er den feinen, mal ziemlich schrägen, gelegentlich fast schon surreal anmutenden, mal bitteren Nuancen des Lebens nach, schaut genau hin und schafft so glaubhafte Figuren. Für Stereotype oder einen ausufernden Plot bleibt da kein Platz. Viel zu wichtig sind Ropponen, der in Finnland seit 2002 neun Kuhala-Romane veröffentlichte, die kleinen Geschichten, die sich in diesem Buch allenthalben quer durch verschiedene Milieus wie nebenbei öffnen und sich zu einem ebenso vielschichtigen wie unterhaltsamen Panorama der finnischen Gesellschaft verbinden. Grandios.
Markku Ropponen: Ein beschissenes Sortiment an Schwierigkeiten. (Kuhala ja viimeinen kesävieras, 2004). Roman. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Piper-Verlag. 340 Seiten. 9,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Scharfkantige Tabu-Kokettiererei
(AVW) Selbstverständlich ist es ein Highlight der Serie um Inspector Barnaby, wenn Altrockröhre Suzi Quatro auf offener Bühne gegrillt wird. Doch nicht nur der eindrucksvolle Versuch der Rockband ‘Hired Gun’, ein Comeback aufs Parkett zu legen, hat es in sich. Schon in der ersten Folge der vorliegenden Staffel heizen böse Morderei und viel Eifersüchtelei dem 4-Chöre-Wettbewerb ordentlich ein. Daraufhin muss sich Inspector Barnaby in einem Gerichtsdrama fragen, ob er eine Unschuldige verhaftet hat. Und mit spektakulärem Retro-Chame swingt sich dann noch ein ganzes Dorf in der Liebe zu einer betörenden jungen Dame, die indes von einem von ihnen kaltblütig um die Ecke gebracht wurde. Lustvolle Blicke auf das bunt-morbide Landleben der Verderbten und Verklemmten bietet auch die 8. Staffel von „Inspector Barnaby”, die wie gewohnt mit skurriler Überdrehtheit und gewagter Gemütlichkeit zu überzeugen versteht. Der besondere Reiz von Midsomer County lebt in seinem ganz eigenen, düster-humorigen Esprit sowie der scharfkantigen Tabu-Kokettiererei, den die clever zusammengestellten vier Fälle hervorragend einfangen. Die exzellente Besetzung würzt den dann doch zumeist eher harmlosen, schrulligen Krimispaß gekonnt ab.
„Inspector Barnaby. Volume 8“. Studio: Edel Motion. Anzahl Disk: 4. Laufzeit: 380 min. Sprache: Deutsch, Englisch. FSK: 12. Folgen: „Tote singen nicht“. „Mörder-Falle“. „Tanz in den Tod“. „Mord mit Groove“. Darsteller: John Nettles, Jason Hughes, Jane Wymark, Laura Howard, Barry Jackson u. a.
Zu Anna Veronica Wutschel geht’s hier.
Angst und Spannung
(Frisp) Angst und Kriminalliteratur scheinen zusammenzugehören wie Topf und Deckel. In der ganzen Spannweite von der aristotelischen Affekten-Theorie bis zur German Angst und, besonders gerne genommen, in ihrer Manifestation als Angstlust. Angst und Spannung, zumindest according to Wilhelm Reich, wenn´s um „sexuelle Stauung“ geht, sind zwingend verbandelt.
Thomas Gann versammelt in seinem brillanten Essay zur „Angst“ die einschlägigen Theorien seit der Antike bis zu Jacques Lacan – ein kulturgeschichtliches (oder anthropologisches?) Panorama, dessen Thema sich bei Gann in Texten von Ernst Jünger und Franz Kafka bündelt. Das ist ebenso nützlich wie klug konzentriert. Angst ist Thema, so wie auch oft in Kriminalromanen, aber als Affekt eben nicht auf die Thematisierung in Kriminalromanen beschränkt. Evidentermaßen. Es gibt auch keine „Textstrategie“ zur Erzeugung von Angst, genauso wenig, wie man „Spannung“ sinnvollerweise nicht in Texten nachweisen kann, weil man bei solchen naiven Versuchen immer nur Aussagen über den Rezipienten machen kann (auch wenn Autoren blauäugig versichern, wie sie Spannung herzustellen, wie ausgefuchst sie den Leser zu ängstigen beabsichtigen – wenn „der Leser“ darauf nicht eingeht, kann der Autor strampeln, auf und ab höppen und „buuuh“ rufen, wie er will), die aber letztlich nicht belegbar sind.
„Angst“ ist eine Kategorie, deren Funktion im menschlichen Seelenhaushalt interessiert – zusammen mit Schrecken, Lust und anderen evolutionären Grundausstattungen von homo sapiens. Bevor man also in seltsame Diskussionen über Affekte und andere nicht-literarische Kriterien eintritt, lieber mal die philosophischen und kulturgeschichtlichen Grundlagen bedenken. Zum Beispiel mittels der Lektüre dieses Bändchens. Der nächste Band des Stimmungs-Atlasses heißt übrigens „Albernheit“. Wir kommen darauf zurück.
Thomas Gann: Angst. Angst Kafka Jünger. Essay. (= Kleiner Stimmungs-Atlas in Einzelbänden A) Hamburg: Textem Verlag 2011. 72 Seiten. 12,00 Euro.
Verlagsinformationen zum Buch.