Bloody Chops
– heute von Thomas Wörtche (TW) und Joachim Feldmann (JF)
Geschichte, bissig …
(TW) Ein Klassiker, erstmals auf Deutsch: „Tod auf Bewährung“ von Didier Daeninckx, in Frankreich erschienen 1984, bei uns nur in der Comic-Fassung von Jacques Tardi unter dem Titel „Den Letzten beißen die Hunde“ (bei der Edition Moderne und kaliber38 ) bekannt …
Thema ist, wie oft bei Daeninckx, die Basis-Sünden des heutigen Frankreichs, der Umgang mit der eigenen Geschichte und die Energie der Franzosen, sie zu verdrängen, zu verbergen, zu ignorieren. Weil er immer wieder darauf besteht, dass der Umgang mit Geschichte sehr viel über das Hier und Heute aussagt, gilt Didier Daeninckx gerne als „Nestbeschmutzer“. Auch hier geht es um ein paar extrem unappetitliche Episoden im Ersten Weltkrieg – die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts überhaupt –, mit denen der Privatdetektiv René Griffon im Paris der frühen zwanziger Jahre zu tun bekommt. Ein unglamouröses Paris der Vororte und Industrieviertel, Arbeitermilieu, bevölkert von Krüppeln und Irren, Kriegsopfer und Zielscheiben patriotisch-nationalistischer Politik. Zeiten und Konstellationen also, die die Folge-Katastrophen schon in sich tragen. Giffon und seine Geliebte können angesichts des Wahnsinns nur noch Haltung und Stil zeigen, notfalls bis zum Ende. Daeninckx‘ Furor trieb ihn schon damals zu genauer Recherche, atmosphärischer Akkuratesse und intellektueller Komplexität, die aus dem Roman heute noch weit mehr als ein retro-mäßiges Museumsstück machen. Das ist keine brave „Auseinandersetzung mit Geschichte“, wie sie zur Zeit für ein paar wackere deutsche AutorInnen sittsamen Beifall hervorrufen, sondern ein bissiger und erfreulich zynischer Roman. Und fein übersetzt von Stefan Linster ist er auch noch …
Didier Daeninckx: Tod auf Bewährung. (Le der de ders, 1984). Roman. Deutsch von Stefan Linster. München: Liebeskind 2011. 267 Seiten. 18, 90 Euro. Zur Verlagsseite.
Formelkram
(JF) Wer gerne einen weiteren Thriller über einen sadistischen Serienmörder lesen möchte, der vergnügt mit den gegen ihn ermittelnden Kriminalisten kommuniziert und zudem einen eigenen Blog betreibt, in dem er ausführlich von seinen Taten berichtet, ist mit dem Debütroman der ehemaligen Geschäftsführerin eines Teppichherstellers, die laut Klappentext ihrem Leben eine Wendung geben wollte und deshalb Kurse bei einem bekannten Profiler und Kriminalisten nahm, wunderbar bedient. „Cut“ heißt der Schmöker, dessen aufgekratzte Ich-Erzählerin normalerweise damit befasst ist, abgängige Kautionsbetrüger wieder einzufangen. Das ergibt einige ganz unterhaltsame Episoden, die aber nur bedingt für die dem Genre inhärente Formelhaftigkeit entschädigen.
Amanda Kyle Williams: Cut. Thriller. (The Stranger You Seek. 2011) Roman. Deutsch von Andree Hesse. 428 Seiten. Reinbek: Wunderlich 2011. 19,95 Euro. Zur Seite der Autorin sowie die Verlagsinformationen zum Buch.
Realität und Unkenntlichkeit
(TW) Nur ein Hinweis an dieser Stelle: Auf der Mathildenhöhe Darmstadt läuft noch bis zum 11. Dezember 2011 die von Harun Farocki und Antje Ehmann kuratierte Ausstellung „Serious Games. Krieg/Medien/Kunst“.
Der von Ralf Beil und Antje Ehmann herausgegebene Katalog ist ein Thesaurus an einschlägigen Bildern, Texten, Objekten, Installationen und so weiter. Dazu jede Menge Querverweise auf Filme, Regisseure, Fotografen etc., die sich mit dem Thema befassen. Das hat schon einen erheblichen Schauwert an und für sich, aber wirklich wichtig sind die Bezüge, die sich aus all dem ergeben: Krieg, Gewalt, Verbrechen und die Bilder davon, mit denen wir uns täglich – ob bewusst oder unterbewusst – befassen müssen und die unsere Sichtweise und unsere Einstellungen zu den Phänomen Gewalt und Verbrechen mehr prägen, als uns vielleicht lieb ist – dieses Verhältnis ist enorm komplex. Diese Komplexität sollte sich eigentlich auch im Umgang mit Kriminalliteratur niederschlagen. Auf jeden Fall lohnt es sich aber überhaupt, sie zur Kenntnis zu nehmen.
Ralf Beil/Antje Ehmann: Serious Games. Krieg/Medien/Kunst. Katalog. Ostfildern: Hatje Cantz Verlag 2011. 208 Seiten. 29,80 Euro. Informationen auf artnet.de und zur Mathildenhöhe.