Geschrieben am 18. Juli 2009 von für Bücher, Crimemag

C.J. Box: Mörderischer Abschied

Selbstjustiz?

Thriller und Kriminalromane mit Kindern sind zurzeit groß en vogue. Das geht oft völlig daneben. Hier, findet Joachim Feldmann, bekommt C.J. Box gerade noch die Kurve.

Die Erfüllung ihres Kinderwunsches hat die McGuanes eine Menge gekostet. Doch dafür sind sie glücklich. Ihre Adoptivtochter Angelina, die sie direkt nach der Geburt zu sich nehmen konnten, ist ein problemloses, fröhliches Baby. Umso größer ist der Schock, als sich neun Monate später eine Angestellte der Vermittlungsagentur bei ihnen meldet. Der leibliche Vater habe nie die Einverständniserklärung zur Adoption unterschrieben und bestehe nun auf dem Sorgerecht. Das heißt, Angelinas 18-jährigem Erzeuger ist das Schicksal des Mädchens wahrscheinlich herzlich gleichgültig, hinter der Forderung steckt dessen Vater, und bei diesem handelt es sich ausgerechnet um den ebenso mächtigen wie wohlhabenden Richter John Moreland, der keinen Zweifel daran lässt, dass den McGuanes keine andere Wahl bleibt, als auf sein Angebot, eine großzügige Entschädigung für die entstandenen Kosten zu leisten, einzugehen.

Selbstverständlich entschließt sich die Familie zu kämpfen, allein damit die Handlung in C.J. Box’ in mancher Hinsicht außergewöhnlichem Thriller Mörderischer Abschied in die Gänge kommt. Jack McGuane, der als Angestellter im städtischen Fremdenverkehrsamt von Denver, Colorado, nicht gerade üppig verdient, kann sich einen ausgewachsenen Rechtsstreit schlicht nicht leisten. Aber er hat Freunde, unter ihnen den zwar ziemlich versoffenen, aber ausgesprochen findigen Polizisten Cody Hoyt. Dieser hat allerdings momentan selbst Probleme genug, da die von ihm erbrachten Beweismittel zur Überführung eines mehrfachen Kindermörders vor Gericht nicht standhalten. Der Richter, es handelt sich um niemand anderen als John Moreland, muss den Angeklagten laufen lassen. Zumindest sieht es so aus, als ob ihm angesichts der Argumente des Verteidigers keine andere Wahl bliebe.

Knalleffekt und Logik

Inwieweit das eine mit dem anderen zusammenhängt, bringt Hoyt im Verlauf der Romanhandlung ans Tageslicht, während McGuane, der gleichzeitig als Ich-Erzähler fungiert, immer stärker in die Rolle des wehrlosen Opfers gerät. Die strikt eingehaltene Beschränkung der Perspektive führt dazu, dass dem Leser wesentliche Phasen des Aufklärungsprozesses verborgen bleiben, um am Ende mit regelrechtem Knalleffekt präsentiert zu werden. Wer sich dafür wappnen will, tut gut daran, ein ehernes Gesetz dieses Genres während der Lektüre im Kopf zu behalten, nämlich dass die schlimmstmögliche Vermutung die höchste Wahrscheinlichkeit besitzt. Es empfiehlt sich ebenfalls, allzu strenge Ansprüche an die Logik einer Romanhandlung zeitweise zu suspendieren. Doch das tut dem eigentlichen Gehalt dieses Buches keinen Abbruch. Jack McGuane wird mit dem bedingungslos Bösen auf eine Weise konfrontiert, die ihn in einem Maße gewalttätig werden lässt, wie er es von sich nie erwartet hätte.

Wer mag, kann in Mörderischer Abschied eine Apologie der Selbstjustiz sehen. Es gibt hinreichend Indizien in diesem Roman, die eine solche Lesart nahelegen. Es lohnt sich aber auch zu beobachten, wie sich die Hauptfigur im Verlauf ihrer betont berichtartig gehaltenen Erzählung selbst dekonstruiert. Der Griff zum Colt des Großvaters nach der ersten Begegnung mit Moreland bleibt zwar keine rein symbolische Geste, erweist sich aber letztendlich im Kontext der Handlung als wirkungslos. Die Drecksarbeit erledigt Cody Hoyt. Jack McGuane zählt ihn im Schlusskapitel des Romans zu den „gute(n), hilfsbereiten Menschen“, die ihn davon abhielten, den Glauben an die Menschheit zu verlieren. Das sollte zu denken geben.

Joachim Feldmann

C. J. Box: Mörderischer Abschied (Three weeks to say goodbye, 2009). Thriller.
Deutsch von Bernhard Liesen. München: Heyne 2009. 415 Seiten. 8,95 Euro.