Geschrieben am 14. März 2007 von für Bücher, Litmag

Michael Benz: Der unbequeme Streiter Fritz Lamm

„Der übliche Katzendreck“

Das ungewöhnliche Leben des Fritz Lamm

Sozialdemokraten, Kommunisten und ab den sechziger Jahren dann die ‚68er’. Ist die politische Linke in den westdeutschen Nachkriegsjahren auf diese wenigen Etiketten zu reduzieren?

Wo bleiben da die viele ideologische Schattierungen zwischen den Parteien oder die eigensinnigen Einzelgänger, die in keine dieser bis heute so gängigen Schablonen passen? Alles Stalinisten, Stasi-Spitzel, Sympathisanten des Terrors? Wo soll man etwa den Stuttgarter Gewerkschafter Fritz Lamm, Funktionär der ‚Naturfreundejugend’, Gegner der Nazis ebenso wie der ‚realen Sozialisten’ jenseits der Mauer einordnen? Für Sozialdemokraten wie zum Beispiel dem legendären Parteivorsitzenden Erich Ollenhauer waren Fritz Lamm und die linke innerparteiliche Opposition nichts als „Katzendreck“. Mit unüberhörbar antisemitischem Zungenschlag war Fritz Lamm für die im liberalen deutschen Bürgertum sehr beliebte Wirtschaftsjournalistin Sybille Krause-Burger, nur der „alte Jude und Linkssozialist“. In den Stasi-Akten der SED, der die westdeutsche DKP servil zuarbeitete, wird Lamm als ‚antikommunistisches Element“ aufgeführt. Ein, wie die Geschichte gelehrt hat, durchaus ehrenhafter Titel für einen Menschen, der sich immer in der luxemburgisch-antistalinistischen Tradition der deutschen Arbeiterbewegung verortete.

Sein Leben, das Michael Benz jetzt in einer sehr sorgfältig ausgearbeiteten Biographie, Station für Station nachzeichnet, paßt tatsächlich nicht in die gängigen Schubladen eines linken Politikers und Intellektuellen in Deutschland. Lamm war jüdischer Herkunft, hat sich aber zeit Lebens dem Judentum nur mäßig verbunden gefühlt. Schon früh trat er der SPD bei, die den unruhigen Antikapitalisten bald wieder ausschloß. Zusammen mit Willy Brandt gehörte er zu den Gründern der „SAP“, die sowohl zu den Sozialdemokraten wie zu den stalinistischen Kommunisten auf Distanz ging. Vor den Nazis flüchtete Lamm zunächst in die Schweiz, später dann nach Österreich, Prag, Frankreich, Kuba. Nach dem Krieg kehrte er nach Stuttgart zurück und begann dort sogleich wieder mit der politischen Arbeit. Vor allem aber engagierte er sich in den Gewerkschaften und in pazifistischen Kreisen. Der Sozialdemokratie stand er auch nach seiner Rückkehr kritisch gegenüber, aber er bekämpfte sie nicht. Während der fünfziger Jahre edierte der leidenschaftliche Publizist Fritz Lamm die Zeitschrift ‚Funken’, mit der er die linke Opposition innerhalb der SPD zusammenfügen wollte. Die sich um den SDS gruppierende linke studentische Opposition der sechziger Jahre unterstützte Lamm mit großer Sympathie. Innerhalb der Gewerkschaft „IG Druck und Papier“, war der langjährige Betriebsratsvorsitzende bei der „Stuttgarter Zeitung“ eine einflußreiche ‚graue’ Eminenz. Beliebt bei vielen jüngeren Mitgliedern, aber mißtraut vor allem vom „Gewerkschaftsapparat“. War er doch eng befreundet mit der zeitweise im Daimler-Mercedes-Werk sehr erfolgreichen Gewerkschaftsopposition um den späteren grünen Bundestagsabgeordneten Willi Hoss ( Vater der Schauspielerin Nina Hoss ).

Auf vielen Kundgebungen der „Neuen Linken“ in den sechziger/ siebziger Jahren gegen den Vietnamkrieg, gegen die ‚Berufsverbote’, gegen die Einschränkung von Bürgerrechten, repräsentierte Fritz Lamm jene ältere Generation, die ihre biographischen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus an die Jüngeren weitergab. Als politischer Funktionär, gar als Agitator verstand er sich nie. Er selber nannte sich einmal einen „Wanderprediger“. Im heutigen Vokabular würde man einen wie Lamm vielleicht einen „Networker’ der linken Opposition zuerst gegen die Restauration der Adenauer-Jahre, später dann gegen ‚Große Koalition’ und den sozialdemokratischen Pragmatismus unter Helmut Schmidt nennen.

Michael Benz breitet dieses spannende Leben eines ‚unbequemen linken Streiters’ in allen – manchmal ermüdend vielen – Details in seiner Biographie aus. Warum nur sind deutsche Historiker so exzellente Archivarbeiter und so mäßige Schreiber? Die spannendsten Themen werden da immer mit einem Fußnoten-Deutsch in die Länge gestreckt, von dem dann nur andere Historiker und Archivare nicht abgeschreckt werden. Aber die große wissenschaftliche Leistung von Michael Benz soll damit nicht geschmälert werden.

Es bleibt die Frage, welche der großen Hoffnungen, vielleicht waren es oft auch einfach nur Illusionen, des Fritz Lamm haben ihn überlebt? Nichts ist geblieben von diesem linken Traumtänzer , sagen sarkastisch und im Jargon der Sieger, die Realisten des heutigen kapitalistischen Status Quo. Ein Glück, einen so integren Menschen wie Fritz Lamm persönlich gekannt zu haben, sagen die Anderen. Ein Vorbild jedoch wollte Lamm nie sein. Er wußte selber sehr genau, daß sein Leben voller Irrungen und selten nach außen getragener persönlicher Konflikte gewesen ist. Um die politische Kultur der Deutschen nach 1945 und nach 1989 stände es aber auf jeden Fall schlechter, hätte es diese heute gerne vergessenen und verdrängten unbequemer Streiter wie Fritz Lamm nicht gegeben.

Carl Wilhelm Macke

Michael Benz: Der unbequeme Streiter Fritz Lamm. Jude, Linkssozialist, Emigrant. Eine politische Biographie, Klartext-Verlag, Essen, 2007, 552 S.