Geschrieben am 26. Februar 2004 von für Bücher, Crimemag

Carlo Lucarelli: Der grüne Leguan

Hochsinnlich und atmosphärisch dicht

Neben dem fesselnden Plot brennt der Autor – der Mitbegründer des literarischen Zirkel „Gruppo 13“ und Sänger in einer Post-Punk-Band ist – ein wahres Feuerwerk aus sich überlagernden Tönen, Farben, Formen und Bewegungen ab.

„Als der erste Carabiniere das Zimer betrat, rutschte er in einer Blutlache aus und fiel auf die Knie. … Als er sich umblickte, musste er würgen, ein heiserer Laut, fast ein Rülpsen… ein Albtraum…“

Nach einer klebrig-blutgeschwängerten Eingangsszene fängt die Welt in Carlo Lucarellis „Der grüne Leguan“ wunderbar an zu klingen: „Mit einem kurzen Seufzen, das nach Staub riecht, fällt die Schallplatte auf den Teller“ und die Farben der Dinge bekommen eine ganz eigene Stimme: „Azur ist die Farbe von Zucker, Zebras und Zikaden … Gelb ist durchdringend wie ein greller Schrei.“

Carlo Lucarellis Protagonist Simone ist blind und nimmt die Welt auf seine Weise wahr. Er lotet die Stille aus und läßt jeden Abend und jede Nacht Chet Bakers „Almost Blue“ langsam in seine Ohren hineinkiechen und „Trompete, Kontrabass, Klavier und Stimme eins werden und die Leere füllen, die in meinem Kopf herrscht.“ Tagsüber jagt Simone mit einem elektronischen Scanner den verwirrenden Stimmen und Tönen im rauschenden Äther hinterher, hört sich durch die vibrierende Großstadt Bologna. Durch Zufall wird er dabei in die Jagd der Sonderfahnderin Gracia auf einen „Studentenkiller“ verwickelt, der seine Opfer auf grausamste Weise verstümmelt und deren Identität annimmt – ganz nach dem Nine Inch Nails-Song „Reptile“: „Angels bleed from the tainted touch of my caress need to contaminate to alleviate this loneliness.“

Wie ein Leguan häutet dieser Psychopath sich nach jedem Mord, und nur der blinde Simone kennt seine „grüne Stimme“, die „kalt, gepresst und verstellt“ ist. Das Netz der Fahnder zieht sich immer enger um den Killer, doch plötzlich sind die Jäger die Gejagten und es baut sich eine knisternde Hochspannung à la „Das Schweigen der Lämmer“ auf.

Mit dem „Grünen Leguan“ ist dem 1960 geborenen Carlo Lucarelli ein literarischer Thriller der Extraklasse gelungen. Geschickt und mit harten Schnitten wechselt er die Erzählperspektiven und führt den Leser tief in die Innenwelten des blinden Simone und des psychopathischen Killers – bis beim Showdown die Grenzen auf erschütternde Weise verschwimmen.

Neben dem fesselnden Plot brennt der Autor – der Mitbegründer des literarischen Zirkel „Gruppo 13“ und Sänger in einer Post-Punk-Band ist – ein wahres Feuerwerk aus sich überlagernden Tönen, Farben, Formen und Bewegungen ab. Er läßt einen hochsinnlichen und atmosphärisch dichten „Film in Worten“ ablaufen, der wohl bald auch auf Zelluloid gebannt werden wird.

Von Karsten Herrmann

Carlo Lucarelli: Der grüne Leguan. Taschenbuch – 191 Seiten – Goldmann, Mchn. Erscheinungsdatum: 2001 ISBN: 3442541506