Mehr als nur ein zeitgeschichtliches Dokument
Dieses verzweifelte, wütende Buch hat nichts von seiner verstörenden Wucht verloren.
Amerika Ende der 60er Jahre: J.F.K. und R.K. sind tot. Martin Luther King und Malcom X erschossen von durchgeknallten Psychopathen. Gewalttätige Rassenunruhen durchzogen das gesamte Land. Auch Chester Himes glaubte nicht mehr an staatliche Gerechtigkeit für die Schwarzen Amerikas, er propagierte eine organisierte und bewaffnete Revolution:
„Vor allen Dingen muß eine Revolution, die Erfolg haben will, gewalttätig sein, sie muß unbedingt gewalttätig sein. Die Schwarzen sollen so viele Mitglieder der weißen Gemeinschaft töten, wie sie können. Also Frauen, Kinder, erwachsene Männer, Industrielle, Straßenfeger oder was auch immer, Hauptsache sie sind weiß. Nur so kann das Ziel erreicht werden – darüber gibt es keinen Zweifel.“
„Plan B“, 1968 geschrieben, nie vollendet, und erst nach seinem Tod 1983 erschienen, ist Chester Himes‘ radikales literarisches Testament. Es beschreibt den vergeblichen Versuch des schwarzen Geschäftsmannes Tomsson Black eine bewaffnete Geheimarmee aufzubauen, indem er „zehn Millionen Gewehre und eine Milliarde Schuß Munition“ an die schwarze Bevölkerung verteilt. Doch bevor es zu einem organisierten Aufstand für Gerechtigkeit und Gleichheit kommen kann, zerfällt das Land in einem apokalyptischen Amoklauf der Gewalt.
Die Form des Buches spiegelt den Inhalt. Unterschiedlichste, mit zersetzend-bösem Humor skizzierte Textfragmente bilden die vielstimmige Vision des blutigen Untergangs der amerikanischen Gesellschaft. Dieser Patchwork-Roman ist vieles: Lebenserzählung des Tomsson Black, höhnische Parodie der historischen Südstaaten-Erzählungen a la Faulkner oder Margaret Mitchell, Bruchteil der Harlem-Saga um die beiden schwarzen Detectives Gravedigger Jones und Coffin Ed, philosophisches Traktat, Analyse des Denkens der Schwarzen und Weißen in der rassistischen USA und immer wieder eine detaillierte Beschreibung der haßerfüllten Amokläufe und blutigen Massaker des entstehenden Bürgerkrieges:
„Der Polizeichef wurde in beide Schläfen und in beide Augen getroffen, und die Kugeln drangen durch beide Gläser seiner Brille und in seine Augäpfel, und eine gallertartige Substanz, stark mit Blut vermischt, quoll aus seinen Augenhöhlen. Er hatte keinen Hut auf, um ihn mit seinem Hirn und den Splittern seines Schädels zu füllen. Hirn und Schädel spritzen hoch in den sonnendurchfluteten Himmel und besudelten die Zuschauer mit klebriger, blutiger Gehirnsubstanz, Büscheln grauer Haare und Schädelsplittern.“
Der fiebrige Ton seiner pulsierenden Prosa, das moderne Erzählverfahren und die sehr eigenständige Mischung aus Surrealismus, Sex, Gewalt und Humor machen aus „Plan B“ mehr als nur ein zeitgeschichtliches Dokument. Dieses verzweifelte, wütende Buch hat nichts von seiner verstörenden Wucht verloren. Der große Erfolg der ut metro Reihe hilft hoffentlich dabei, diesen konsequenten, bahnbrechenden Literaten neu zu entdecken.
Jan Karsten
Chester Himes: Plan B:Taschenbuch – 190 Seiten – Unionsverlag Erscheinungsdatum: 2000 ISBN: 3293201709