Verraten und verkauft
Man kann sie eigentlich nicht mehr lesen. Romane, die atmosphärisch vom kriminellen Dunst des zerstörten Nachkriegsberlin zehren. Wo sich Spione aus aller Herren Länder reihenweise über den Weg laufen, der Schwarzmarkt und das Geschäft mit der käuflichen Liebe blühen. Wo sich die Lebenswege von Menschen kreuzen, die sich besser nie begegnet wären. Aber genau auf dieses schaurig-historische Ambiente und das ebenso skrupellose wie verstörte Personal setzt der aus Tschechien stammende, vorübergehend in Berlin lebende und derzeit in Kanada residierende Dan Vyleta. Der Lude, die Hure, der Spion, der Folterer, ein toter Zwerg und die bösen Besatzer. Für jeden dieser Typen hat der promovierte Historiker ein Plätzchen frei in seinem Erstlings-Thriller „Pavel & Ich“. Nur schlau wird keiner aus ihnen.
Das geschieht natürlich mit voller Absicht. Schließlich steht von Anfang an die Frage im Raum, was es mit dem toten Zwerg im Kaschmirmantel auf sich hat, den der amerikanische Bordellbesitzer Boyd White seinem ehemaligen Kriegskameraden Pavel mitten in einer Dezembernacht des Jahres 1946 vorbeibringt. Übel zugerichtet, aber gut verpackt in einem geräumigen Koffer und ohne Papiere. Obgleich Pavel genug eigene, vor allem gesundheitliche Probleme hat, versteckt er die Leiche für seinen Freund. Sie wird ihm – wie nicht anders zu erwarten war – todbringenden Ärger einhandeln. Sind doch Zwerg und Lude im Besitz von Informationen, die das Gleichgewicht der alliierten Streitmächte empfindlich stören könnten und britische wie russische Offiziere auf den Plan rufen.
Ich hab noch einen Zwerg im Koffer
Aber Vyleta geht es nicht so sehr um die tödlichen Machtspiele der Kalten Krieger. Im Visier hat er das nicht weniger riskante Spiel um Liebe und Vertrauen. Denn daran herrscht im eisigen Berlin der Nachkriegszeit ebenso sehr Mangel wie an Ess- und Brennbarem. Das brüchige Beziehungsgeflecht zwischen dem gebildeten Pavel und dem ihm zugelaufenen, verwilderten Straßenjungen Anders stellt Vyleta ebenso auf die Probe wie Pavels Verhältnis zur schönen Sonja, die nicht ganz freiwillig im geschlechtlichen und geheimdienstlichen Bunde mit dem britischen Besatzungsoffizier Fosko steht. Ob die zarte Bande zu Sonja und die väterliche Bindung zu Anders halten wird, raubt dem Leser eher den Atem als die Frage, für welche begehrten Informationen der Zwerg eigentlich sterben musste. Und das ist gut so. Denn dem recht einfach gestrickten Spionageplot haftet kaum etwas Geheimnisvolles an. Den Figuren und ihren nicht einfach zu durchschauenden Gefühlen und Motiven hingegen schon.
So wissen wir am Ende zwar, welchem Geheimnis die Russen und Briten auf der Spur waren und wieso der Zwerg und einige andere Missetäter sterben mussten. Nur welche Rolle Pavel im Grunde dabei spielte, bleibt auch nach der letzten Seite ein Rätsel. Dem Leser wie dem Ich-Erzähler, der die ganze Geschichte als Foskos Folterknecht miterlebt und mitgestaltet hat. Bleibt am Schluss dieses historisch wie emotional dichten Thrillers allein die Frage, wer hier wen, um welchen Preis verraten und verkauft hat. Eine Antwort mag Vyleta uns nicht geben, was Pavel zwar noch mysteriöser erscheinen, aber den Leser unbefriedigt lässt.
Jörg von Bilavsky
Dan Vyleta: Pavel & Ich (Pavel & I, 2008). Roman. Berlin: Bloomsbury 2009. 414 Seiten. 22,00 Euro.