Geschrieben am 8. Januar 2006 von für Bücher, Litmag

Daniel Pennac: Der Diktator und die Hängematte

Von Doppelgängern, doppelten Böden und der Kunst der unendlichen Verdoppelung

Daniel Pennacs verspielter Roman über das Erzählen – Der Autor macht sich einen riesigen Spaß, während er in der Hängematte liegt und verrückte Geschichten rund um einen menschenscheuen Diktator spinnt. Von Markus Kuhn

Nehmen wir folgende Geschichte: Ein kleines südamerikanisches Land, irgendeine Bananenrepublik außerhalb des weltpolitischen Schlaglichts. Ein Diktator, der durch einen Mord an die Macht gekommen ist. Der aber an Agoraphobie leidet und die Masse scheut, weil ihm eine Wahrsagerin aus der Hand gelesen hat, dass er einst auf einem öffentlichen Platz von einer aufgebrachten Menschenmenge gelyncht werden würde.
Um diesem Schicksal zu entfliehen, hat der Diktator eines Tages die glorreiche Idee, einen Doppelgänger einzusetzen, der für ihn regiert, während er in Europa seine Agoraphobie kurieren will. Da dieser nach einigen Jahren aber seinerseits einen Doppelgänger arrangiert und dieser einige Jahre später wieder einen, gewöhnt sich die Bevölkerung Schritt für Schritt an einen Diktator, der nur noch wenig mit seinem Urbild gemein hat. Das wird dem echten Diktator zum Verhängnis, als er zurückkehren will …

Hommage an postmoderne Erzähllabyrinthe

Was ist an dieser absurden Geschichte interessant? Zu allererst natürlich der Ablauf der Geschichte selbst. Das Doppelgängermotiv. Die Parallele zu König Odipus’ erfolgloser Flucht vor dem eigenen Schicksal. Dann aber auch die Frage, wie ein Autor auf eine derart verrückte Geschichte kommt. Und auch: die Geschichte des ersten Doppelgängers. Wie kommt der auf die Idee, sich seinerseits einen Doppelgänger zu suchen?
Alle diese Geschichten erzählt Daniel Pennac in seinem verspielten Roman „Der Diktator und die Hängematte“. Wobei er es mit all den Verdopplungen, gewollten Zufällen und Verstrickungen ziemlich bunt treibt. Während er sanft in der Hängematte schaukelt, denkt er nach über berühmte und berüchtigte Doppelgänger in Literatur und Film, geht er die verrücktesten Gedankenwege, erinnert er sich an seine privaten Abenteuer in Südamerika.
Das hat Pennac beim Schreiben sichtlich viel Spaß gemacht. Und das macht auch beim Lesen Spaß. Obwohl man sich rettungslos in den verrückten Assoziationen des Autors verlieren kann und sich stellenweise weniger subjektive Phantasie und mehr Übersicht wünscht.
Pennac ist mit „Der Diktator und die Hängematte“ ein unterhaltsamer Roman über die Kunst des Romanschreibens und über sich selbst gelungen. Es ist eine verspielte Hommage an all die ernsten postmodernen Romanlabyrinthe der poetischen und narrativen Möglichkeiten.
Wer Pennac kennt, weiß, dass der Autor immer wieder „komplett durchgedrehte Ge-schichten“ hervorbringt. Schon an seinen ersten beiden Romanen („Im Paradies der Ungeheuer“ und „Wenn nette alte Damen schießen“) lobten Kritiker seine flirrende Phantasie, die „Explosion der Lebenslust, ein Fest warmherziger Komik“ und die enorme Erzählgeschwindigkeit. Schon dort waren die Geschichten so verschachtelt, dass man die Plots kaum nacherzählen konnte. Mit „Der Diktator und die Hängematte“ macht Pennac seinem Ruf alle Ehre, was seine Fans begeistern wird.

Markus Kuhn

Daniel Pennac: „Der Diktator und die Hängematte“. Roman. Aus dem Französischen von Eveline Passet. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2005. Gebunden, 384 Seiten, 22,90 Euro. ISBN 3-462-03453-7