Ansichten eines Clowns
In seiner eigenwilligen Lebensbeschreibung reflektiert Dario Fo über das eigene Leben und den Zustand der Welt. Von Jörg Auberg
Oft gerät der in Buchform gegossene Rückblick auf das eigene Leben zur narzisstischen Selbst-lobhudelei, die der Zurschaustellung der eigenen Eitelkeit dient. In Dario Fos retrospektivem Gespräch über sein Leben als Autor, Regisseur, Zeichner, Fernseh-Unterhalter und Gelegenheitspolitiker schwelgt der Nobelpreisträger des Jahres 1997 (der von den üblichen Verdächtigen des staatstragenden Betriebes als des Preises unwürdig erachtet und als „Nobelnichtsnutz“ beschimpft wurde) in einer eloquenten Rede über sich selbst, welche die Journalistin Giuseppina Manin mit Fragen und erklärenden Einschüben für den Leser strukturiert und mit einem erläuternden Anmerkungsapparat des langjährigen Fo-Übersetzers Peter O. Chotjewitz für den deutschen Leser versehen ist.
Ein schwindelerregender Lebenslauf
Der im Jahre 1926 geborene Fo ist ein Zeitzeuge sowohl des politischen als auch des kulturellen zwanzigsten Jahrhunderts. Wie viele seiner Generationskollegen erlag auch Fo als Jugendlicher anfänglich den Verlockungen des Faschismus, ehe er zu einer kritischen Gesellschaftsanalyse kam, die ihn schließlich zur kommunistischen Linken führte. „Ein schwindelerregender Lebenslauf“, heißt es bei ihm. „Mancher würde den Kopf verlieren.“ Dabei erzählt er in einer Mischung aus Memoiren und Bekenntnissen seine Lebensgeschichte nicht chronologisch, sondern verknüpft in Zeit- und Themensprüngen seine persönliche Entwicklung als Künstler im weiteren Sinne mit Reflexionen über Theater, Kunst, Religion und Politik. Eine Diskrimination ist ihm unmöglich: Alles greift ineinander und ist miteinander verwoben: die Kunst mit der Politik, das Private mit dem Politischen, das Lachen mit der Kritik.
Der Clown der Subversion eckte vielerorts an: Nicht nur in Italien war er von der Medienzensur betroffen (seine religionskritische Rundfunkshow wurden 1951 ebenso abgesetzt wie 1962 die Fernsehshow „Canzonissima“, nach der Fo von der RAI für fünfzehn Jahre Bildschirmverbot erhielt). Auch in den Zentren der bipolaren Blöcke in Zeiten des Kalten Krieges war er mit seiner Frau und Kollegin Franca Rame unerwünscht: Aufgrund ihres Engagements für die kommunistische Linke erhielten sie bis 1984 kein Einreisevisum, bis ausgerechnet der ehemalige „Kommunistenfresser“ Ronald Reagan (der in der McCarthy-Ära als Vorsitzender der Schauspielergewerkschaft mit besonderer Verve gegen „illoyale“ Kollegen vorging) für eine Aufhebung des Einreiseverbots eintrat. „Vielleicht ließ er sich von einem gewissen Sinn für die Solidarität unter Schauspielern leiten“, mutmaßt Fo, was jene amerikanischen Schauspieler, die aufgrund der Kollaboration des Präsidenten der Screen Actors Guild mit dem FBI mit Berufsverbot belegt wurden, vermutlich anders beurteilen würden. Auf der anderen Seite zensierte die sowjetischen Bürokratie Fos kapitalismuskritische Stücke bis zur Unkenntlichkeit.
Der Kampf gegen die je aktuelle Herrschaft nimmt sich quixotisch aus, auch wenn Fos Weltansicht von Niederlagen und Enttäuschungen scheinbar unerschütterlich erscheint. „Weiterleben“, insistiert er. „Eine schwierige Kunst in einer Zeit, in der alle damit zufrieden zu sein scheinen, dass sie überleben.“ Offenbar ist Fo jedoch mit seinem Leben, wie er es bislang führte, selbst in hohem Maße zufrieden: Scheinbar hat er das Kunststück zustande gebracht, alles (mehr oder minder) richtig gemacht zu haben. Nach seinem Selbstverständnis produziert er Texte, welche die herrschenden Gewissheiten untergraben, doch eine kritische Selbstreflexion findet bei ihm nicht statt: Stets wähnt er sich im Recht und glaubt, alle Argumente gegen die Schlechtigkeit der Welt und die negativen Eigenschaften konkurrierender Künstler wie Luchino Visconti parat zu haben, während aller Unbill der Realität an ihm selbst abzuprallen scheint.
Bänkelsänger in einer Techno-Welt
Die Problematik in Fos Weltsicht ist, dass er sich in der Tradition des Spielmannes, des Bänkelsängers und des Clowns wähnt, ohne die Entwicklungen der kulturindustriellen Techniken und Technologien mit auf die Rechnung zu nehmen, welche die einstige „Volkskultur“ niederwalzten. In seinen Augen existiert kein Unterschied zwischen hoher und niederer Kunst: Für ihn hat Kunst dem Leben zu dienen. Damit reißt er sie jedoch hinunter in den Utilitarismus und richtet sie auf einen Zweck zu, der ihr nicht nützt, sondern schadet. Die Unterscheidung zwischen hoher und niederer Kultur, die in früheren Zeit auch einmal der Einspruch gegen den Totalitarismus der „Massenkultur“ war, wischt er mit dem antiintellektuellen Argument vom Tisch, sie sei lediglich der buchverwesten Muffigkeit „von provinziellen Intelligenzfritzen“ geschuldet. Damit inszeniert sich Fo als anarchischer Subversiver, der letztlich jedoch nur die Einebnung der Unterschiede durch die kulturindustrielle Maschinerie und die vollkommene Integration der Kunst in den kapitalistischen Verwertungsapparat kaschiert. In der Tradition Umberto Ecos, der das Spektrum der intellektuellen Kritiker der Kulturindustrie in Apokalyptiker und Integrierte einteilte, möchte Fo als maskierter Aktivist eines intellektuellen Populismus auf der Bühne erscheinen, um Dämonen wie Berlusconi & Co. in die Kaschemmen der Unterwelt zu vertreiben, ohne zu bedenken, welche gesellschaftlichen und ökonomischen Faktoren den Aufstieg dieser Charaktermasken begünstigten. Mit einigem Recht ist Fos altmodisch daher kommende Kritik sympathisch, doch hilft sie nicht, die Zustände zu ändern. Mit Unerschütterlichkeit lassen sie sich ertragen – zum Tanzen können sie damit jedoch nicht gebracht werden.
Jörg Auberg
Dario Fo (mit Guiseppina Manin): Die Welt, wie ich sie sehe (Il mondo secondo Fo, 2007). Aus dem Italienischen von Peter O. Chotjewitz. Rotbuch Verlag, Berlin 2008. 192 Seiten. 19,90 Euro