Geschrieben am 12. Mai 2004 von für Bücher, Litmag

Das Gewissen ihrer Zeit

Qualitätsjournalismus

In einer Anthologie werden große deutschsprachige Journalisten von Lessing bis Herbert Riehl-Heyse als Vorbilder für den heutigen Journalismus vorgestellt.

„Der Journalist schreibt auf Wasser und ist flüchtig wie ein Schmetterling.“ Wenn dieser Satz, den der legendäre italienische Journalist Indro Montanelli immer gerne zu zitieren pflegte, uneingeschränkt richtig ist, dann könnte es eine Sammlung mit Porträts bedeutender Journalisten eigentlich nicht geben.

Aber es gibt eben auch Publizisten, deren Lebenswerk einen Schmetterlingsflug überdauert und die nicht nur auf Wasser geschrieben haben. An sie will die Sammlung von Porträts erinnern, die ursprünglich noch von dem inzwischen verstorbenen SZ-Journalisten Herbert Riehl-Heyse angeregt worden ist. Journalistische Schreib- und Recherchetechniken kann man in journalistischen Schulen oder an der Universität erlernen. Auch das Angebot an einschlägigen Ratgebern („Die perfekte Recherche“ o.ä.) ist unüberschaubar geworden. Aber es gibt da noch etwas, was sich ein Journalist nicht in Trainingsprogrammen aneignen kann. Nennen wir es sehr altmodisch Anstand, Würde, die Kunst zu polemisieren ohne zu verletzen und vielleicht jene Demut, auf die Montanelli mit seinem Zitat ansprach.

Liest man die Porträts des Bandes, dann stößt man immer wieder auf diese Charaktereigenschaften, diese professionellen Werte, die einen Journalisten und Chronisten der Zeit auszeichnen oder auszeichnen sollten. In der Liste der Porträtierten finden wir wirklich die Crème de la creme der deutschsprachigen Publizisten, angefangen von Gotthold Ephraim Lessing über Ludwig Börne, Karl Marx, Berta von Suttner, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Kurt Tucholsky, Sebastian Haffner, Henry Nannen, Rudolf Augstein, Marion Dönhoff bis hin zum zornigen Niklaus Meienberg und eben zu Herbert Riehl-Heyse, dem Inspirator des ganzen Unternehmens. Namen die jeder kennen sollte, der sich heute schreibend in der Medienwelt vom Tagesjournalismus bis hin zu den diversen o­nline-Magazinen tummelt. Und dann wird auch an Autoren erinnert, die vielleicht weniger allgemein bekannt sind, aber die es wert sind, nicht vergessen zu werden. Louise Otto etwa oder Axel Eggebrecht und Immanuel Birnbaum.

„Die Medien sind heute zwar riesige, industrialisierte Dienstleistungsbetriebe. Zu ihren Leistungen gehört aber auch der Qualitätsjournalismus als Kulturleistung von Rang. Journalismus kann wie Literatur, Musik und Kunst eine schöpferische Tätigkeit sein.“ Mit dieser sehr richtigen Prämisse leiten die Herausgeber ihr lobenswertes Unternehmen ein, dem allerdings noch kleine Schönheitsfehler anhaften. Warum wird die Auswahl immer noch so einseitig von männlichen ‚Vorbildern‘ dominiert? Hätte nicht auch eine Alice Schwarzer mit ihren unbestreitbaren journalistischen Verdiensten für den ‚weiblichen Journalismus‘ eine Berücksichtigung verdient? Kennt denn niemand mehr eine Charlotte Beradt, eine Peggy Parnass? Und gibt es für die heute jüngere Generation von Journalisten denn nur ‚Vorbilder‘ aus der deutschsprachigen Publizistik?
Noch nie etwas von Ryszard Kapuscinski, V.S.Naiphul, Melvin Lasky, Rossana Rossanda, Bob Woodward, Ignacio Ramonet ecc.ecc. gehört? Aber vielleicht folgt ja noch eine ‚Internationalisierung‘ der Galerie von Vorbildern des Journalismus.

Carl Wilhelm Macke

Hans-Juergen Jakobs/ Wolfgang R. Langenbucher (Hg.): Das Gewissen ihrer Zeit. Fünfzig Vorbilder des Journalismus. Picus-Verlag 2004. 280 Seiten. 19,90 Euro. ISBN: 3-85452-478-1

(Hans-Juergen Jakobs leitet das Medien-Ressort der ‚Sueddeutschen Zeitung‘; Wolfgang R. Langenbucher ist Ordinarius am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Die einzelnen Artikel des Buches erschienen im Rahmen einer Serie auf den Seiten der SZ)