Kraftwerk forever
– Club Liberitas, Bochum, im Sommer 1969, und ich schrieb damals: „Norbert auf jeden Fall saß da neben mir, und wir saßen ganz vorn, wie immer, und er schlug auf den Tisch, weil ihn die Gruppe auf der Bühne mitriss, umhaut, sagte er, die fünf da hauen mich um! Die fünf aus Krefeld, die sich Organisation nannten. Ein Iraker, Basil Hammoudi, ja, den Namen habe ich behalten, den merkt man sich, wenn man ihn einmal spielen gehört hat. Also, der hockte vor einem Arsenal Klangkörpern, Trommeln und so, Hütter an der Orgel, die ich übrigens nachher mit Norbert auf den Hof schleppte und in den Hänger verstaute, tja, die legten los, so ganz unvermittelt, mehr aus einem Stimmen der Instrumente heraus, dann wurden die Verstärker auf volle Pulle gedreht und los gings, und aus den Fetzen formte sich stampfender Rhythmus … es ließ mich nicht los, dieses Stampfen und die gellende Schreie der Kindersaxophone, Kuhglocken klingelten, ehrlich, so was Tolles hatte ich seit Jimmy Hendrix nicht mehr gehört und weiter, weit weg, Afrika oder irgendwo sonst. So war das, und da schrie Norbert mir ins Ohr, Stoff, Stoff müsste man jetzt haben und dann die Musik, und weg, weg aus dieser beschissenen Stadt im Revier.“
Die Gruppe Organisation bestand aus Basil Hammoudi (Glockenspiel, Spieluhr, Bongos, Perkussion, Stimme), Butch Hauf (Bass, singendes Plastikrohr, Kunststoffhammer, Glocken, Schlagwerk), Ralf Hütter (Hammond-Orgel), Alfred „Fred“ Mönicks (Bongos, Maracas, Cowbell, Tamburin, Schlagzeug), Florian Schneider-Esleben (Flöte, Glocke, Triangel, Tamburin, Elektro-Geige, Percussion).
Organisation löste sich 1970 auf. Ralf Hütter und Florian Schneider-Esleben machten als Kraftwerk weiter. Und was dann so alles passierte, hoffte ich in der „unautorisierten Biografie“ des Liverpooler „Doktor in Popular Musik“, David Buckley, zu lesen. Symphatischerweise aber räumt er gleich auf den ersten Seiten ein, dass von Hütter und Schneider-Esleben absolut nichts über die Geschichte der Gruppe zu erfahren war. Die Beiden verweigern seit je her Interviews oder gar Erläuterungen ihrer Arbeit.
Es blieben Buckley also die, die sowohl kurz wie auch länger kreativ mit den Kraftwerk-Initiatoren tätig waren. Das aber ist dann auch die Crux einer solchen Publikation. Die Aussagen widersprechen sich, der eine Zeitzeuge profiliert sich auf Kosten des oder der anderen, und dann gibt es immer einen, der angeblich den ultimativen Durchblick hat, den notorischen Besserwisser und auch Nörgler. David Buckley präsentiert alle denkbaren Stimmen, und so finden sich unterhaltsame Statements, treffende Formulierungen und längere analytische Passagen wie die von John Foxx und Lester Bangs neben Neid und Gehässigkeit der offenkundig im Schatten der Ur-Kraftwerk-ler Stehenden. Das alles ist eifrig und sicher auch zeitaufwendig gesammelt, hat aber letztlich keinen allzu großen Erkenntniswert. Zumal der aus Liverpool stammende Autor einen recht naiven Blick auf das gesellschaftliche und kulturelle Leben im Deutschland der Siebziger Jahre hat, der Zeit also, in der Kraftwerk ihren Elektro-Sound entwickelten und perfektionierten, als „Heimatmusik aus dem Rhein/Ruhr-Gebiet“ in „nahezu perfekter Umsetzung ihrer musikalischen und politischen Ambitionen.“
Das nun aber ist in dem „Rockmusik Lexikon“ von Christian Graf und Burghard Rausch zu lesen (nur noch als CD-Rom erhältlich), wo auf 4 Seiten das wirklich Wesentliche über den Aufstieg und den Weltruhm der Gruppe Kraftwerk zusammengestellt ist. Und das reicht allemal. Es ist ohnehin sinnvoller, sich noch einmal die Kraftwerk-Klassiker anzuhören, von „Autobahn“ bis „Tour de France“, „Radioaktivität“ und „Neonlicht“. Damit schließt auch David Buckley sein Buch, und zumindest das ist auch gut so.
Frank Göhre
David Buckley: Kraftwerk. Die unautorisierte Biografie (Kraftwerk: Publikation, 2012). Übersetzt von Henning Dedekind und Heike Schlatterer. Metrolit, 2013. 400 Seiten. 24,99 Euro, eBook 16,99 Euro.