Geschrieben am 15. März 2008 von für Bücher, Crimemag

David Peace: 1983

Düsteres Puzzle

1983 ist das Finale von David Peace’ monströsem und unbequemen Red Riding Quartett – eine rabenschwarze Abrechnung mit seiner Heimat Yorkshire und die Zusammenführung der in den drei Vorgängerbänden ausgelegten Fäden. Von Frank Rumpel

Das ist es jetzt also: Das Finale des vielfach ausgezeichneten Red Riding Quartetts. Man darf wohl davon ausgehen, dass die Bücher nicht in Leeds’ Touristeninformation ausliegen oder Hotelgästen auf den Nachttisch gelegt werden. Denn das Bild ist wenig schmeichelhaft, das der 1967 in Yorkshire geborene, aber seit vielen Jahren in Tokyo lebende David Peace von seiner alten Heimat in den 70ern und frühen 80ern zeichnet. Der Polizeiapparat ist zutiefst marode und korrupt. Ein kleiner Kreis hat äußerst lukrative Geschäfte in Sachen Pornohandel und Immobilienspekulation am Laufen. England steckt in einer Wirtschaftskrise, und alles deutet darauf hin, dass die Konservativen mit Margret Thatcher nach 1979 auch die anstehende Unterhauswahl von 1983 für sich entscheiden werden. Zumindest gefühlt herrscht in David Peace’ Yorkshire der 70er- und 80er-Jahre permanent regnerische Nacht.

1983. Wieder ist ein Kind verschwunden in Yorkshire, Nordengland. Maurice Jobson, den alle nur die Eule nennen, leitet die polizeilichen Ermittlungen wie schon vor Jahren, als es ebenfalls um Kindesentführung ging – Fälle, die nicht aufgeklärt wurden. Bei den aktuellen Ermittlungen findet die Polizei schnell einen Tatverdächtigen. Er stirbt in der Zelle, nachdem ihn die Beamten gefoltert haben. Anscheinend Selbstmord. Der Anwalt John Pigott übernimmt den Fall. Dieser vertritt auch den geistig behinderten Michael Myshkin, der seit Jahren wegen Kindsmordes im Knast sitzt. Die unaufgeklärten Kindsmorde der frühen 1970er kommen wieder aufs Tablett, und die ganze Vergangenheit kocht hoch. Peace’ Figuren sind allesamt Getriebene, Gefangene verdrängter Erinnerungen, die sich immer wieder vehement in deren grauen Alltag zwängen.

Peace erzählt 1983 im Wesentlichen aus drei Perspektiven: Jobson, Pigott und einem jugendlichen Kriminellen – als gewohnt stakkatohaft rausgekotztes Puzzle, als Mosaik aus aktuellen Ereignissen, Erinnerungen der Protagonisten, Fetzen von Liedtexten und Nachrichtenmeldungen. Peace arbeitet mit reichlich Wiederholungen, verweist bruchstückhaft auf Geschehnisse in vorangegangenen Bänden und verzahnt damit die Geschichte zu einer komplexen nachtschwarzen Chronik. Ein Spaß allerdings ist das nicht. Die endlosen Wiederholungen vermitteln diesmal weniger Intensität, dafür öfter mal Statik, die permanenten Verweise auf frühere Geschichten machen den Roman zudem unübersichtlich und spröde. Ohne einen gelegentlichen Blick in die Vorgängerbände ist dieser letzte Teil nur schwer zu packen, und man fragt sich beim Lesen, was Peace einem eigentlich in 1974, 1977 und 1980 für Geschichten aufgetischt hat.

Der Autor erzählt hoch emotional, fieberhaft, atemlos und sprunghaft, indem er den Text kunstvoll zu einem irrwitzigen Kaleidoskop montiert. Was dabei herauskommt, ist monströs und unhandlich, dennoch beklemmend und eindringlich. Und das liegt nicht allein daran, dass Peace keine Grenzen kennt, dass Gewalt in seinen Romanen allgegenwärtig ist. Es liegt vor allem an dieser konsequent durchgehaltenen Stimmung, die Peace meisterhaft und vielschichtig vermittelt.„Das Grauen meiner Figuren“, sagte er in einem Interview, „ist das gleiche Grauen, das ich meinen eigenen Person gegenüber empfinde. Für mich gibt es kein Schwarz und Weiß, kein Gut und Böse – die Menschen sind sehr, sehr grau.“

Düstere Aussichten. Von der Welt scheint nichts Gutes zu erwarten zu sein. Zumindest nicht von Peace’ Welt, in der man vergeblich nach einem Lichtschalter oder zumindest einem Lächeln sucht.

Frank Rumpel

David Peace: 1983. Deutsch von Peter Torberg. 512 Seiten. Liebeskind Verlag 2007. 22,00 Euro.