2B or not 2B?
– Wessentwegen beneiden wir die USA eigentlich noch? Virilitätsstrotzende Sportwagen vom Schlage des alten Ford Mustang sind Geländewagen gewichen, die selbst mit Panzerung (oder gerade deshalb) verdruckst aussehen. Barack Obama – enttäuschend, als ob uns das etwas anginge. Tolle Fernsehserien, wirft der sich avanciert wähnende Mensch beiderseits der 30 in den Ring. Ja, schön, aber das sind einsame Gipfel im Flachland. Von Joe Paul Kroll
Doch nirgends liest man ein Wort über die vorbildliche amerikanische Bleistiftkultur! Selbst Tony Soprano war mir nie sympathischer als in einer Szene, in der er sich mit einem in der Jackentasche mitgeführten Bleistiftstummel eine Notiz machte. Nicht mit einem schnöden Kugelschreiber, wohlgemerkt: Gegen dessen üblen Geruch und unschönes Schriftbild hält sich in den USA der Bleistift wacker. Wo unterwegs Notizen gemacht werden, ist der Bleistift ebenso zur Stelle wie auf Schreibtischen in den Führungsetagen. Dazu gehört eine gute Infrastruktur von Anspitzern: Meine letzte Wohnung in New Jersey verfügte sogar über eine eingebaute Handkurbel-Wandspitzmaschine in der Besenkammer – vorbildlich!
Dagegen Deutschland: Zwar fand der Protagonist einer britischen Fernsehdokumentation, der sein Glück als typischer deutscher Arbeitnehmer versuchen sollte, seinen entsprechend typischen deutschen Arbeitsplatz in der Bleistiftfabrikation bei Faber-Castell in Nürnberg. Mit deren grünen, aber leider längst durch aufgedruckte Strichcodes verunstalteten Erzeugnissen (samt altmodischen Bleistiftverlängerern!) schrieb immerhin Papst Benedikt XVI. seine Jesus-Bücher – wenn man den Pressefotos des Herder-Verlags glauben darf. Ansonsten aber: Überall Kugelschreiber und die berüchtigten „gelben Dinger“ (Florian Illies) der Firma Stabilo. Müssen wir uns nun ausgerechnet von einem Amerikaner nachhelfen lassen? Von einem Angehörigen jenes Volkes, das inzwischen die Produktion selbst seiner berühmten (u. a. von Roald Dahl bevorzugten) „Ticonderoga“-Bleistifte nach Mexiko ausgelagert hat?
Müssen wir wohl. David Rees hat es sich jedenfalls zur Aufgabe gemacht, seine Leser zum Respekt vor dem Bleistift zu erziehen. Dazu berechtigt ihn seine Erfahrung als kunsthandwerklicher Bleistiftanspitzmeister, der gegen Zusendung von $ 12,50 Graphitminen die perfekte konische Form verleiht und das sie ummantelnde Zedernholz schön splitterfrei glättet. Auf dieser Grundlage entfaltet Rees theoretische Überlegungen und gibt vor allem praktische Ratschläge nicht nur zum Selberspitzen mit unterschiedlichsten Werkzeugen, sondern fordert auch die entschiedene Ahndung von Bleistiftrechtsverletzungen (mitsamt Interventionsrecht in Härtefällen).
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Doch nach so viel Einleitung und gutem Willen muss der selbst der bleistiftaffine Rezensent gestehen, dass ihn „Die Kunst, einen Bleistift zu spitzen“ einigermaßen ratlos zurückgelassen hat und er sich nicht in der Lage sieht, das Buch weiter ernst zu nehmen. Wo der doch recht banale Akt des Anspitzens derart verkompliziert wird, hat man es wohl mit einer Spielart der Ironie zu tun. Aber mit welcher? Oder doch eher der Parodie – aber was wird dann parodiert? Kochbücher aus dem Labor Ferran Adriàs? Leitfäden zur Wartung von Fixed-Gear-Fahrrädern? Die Elaborate fanatischer Baristas? Die Manufactum-Kultur? Die Handwerks-Ratgeber-Literatur insgesamt? Das wäre auf ein paar Seiten ganz witzig, als Buch muss es schlicht nicht sein. Denn, ehrlich gesagt, um einen Bleistift zu spitzen bedarf es nur eines Bleistifts (halbwegs ordentlicher Qualität, verseht sich) und eines handelsüblichen Anspitzers (dito). Derart gewappnet kann man sich Notizen in und zu allerhand zwingenden Büchern machen. Dieses gehört leider nicht dazu: Zwar ist es recht liebevoll gestaltet, doch ist der Inhalt die Mühe nicht Wert gewesen. Zu bemängeln wäre überdies, dass die Übersetzung manchmal etwas unidiomatisch geraten ist und auch am Korrektorat gespart wurde. Auch dass die Verweise auf Webseiten usw. zum Thema Bleistift nicht noch um einige deutschsprachige Angaben ergänzt wurden, zeugt von einer etwas verwunderlichen Gedankenlosigkeit.
Joe Paul Kroll
David Rees: Die Kunst, einen Bleistift zu spitzen. Eine praktische und Theoretische Abhandlung. Berlin: Walde+Graf bei Metrolit, 2013. 224 Seiten. 17,99 Euro. Mehr hier.