Rechtschaffene Ganoven
Amerika ist ein großes Land. Aber vielleicht nicht groß genug, um einem übel gelaunten Gangsterboss entkommen zu können, der sieben wertvollen Diamanten nachtrauert. Die hat nämlich sein Auftragsschläger Henry Dante im Gepäck. Und der ist auf der Flucht. Mit einer nymphomanischen Christin und einem schlechten Gewissen.
Drei harte Burschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Floyd, der Naive, Roger, der Hinterhältige und Henry, der Rechtschaffene. Gemeinsam auf dem Weg zu einem „Kunden“, der bei ihrem Boss in Ungnade gefallen ist, weil er sich dessen Diamanten unter den Nagel reißen und sich ein sorgenfreies Leben machen will. Für seine Schuldeneintreiber eigentlich ein Routineauftrag, der eine ungeahnte Wendung nimmt, als Roger die bildhübsche Frau des Betrügers ins Visier seiner Schenkel nehmen will.
Eine faire Chance
Henry zögert einen Moment. Doch dann schlägt er Roger nieder und knockt den irritierten Floyd aus. Dem „Kunden“ und seiner Frau schenkt er die Freiheit, sich selbst den Koffer mit den Edelsteinen. Er ist nun mal „ein Gentlemen mit einer Schwäche für Damen in Not“, wie sein Boss nach diesem Coup anerkennend feststellt. Das er seine Kameraden am Leben gelassen hat und mit einem auffälligen roten Pick-up die Flucht antritt, passt deshalb auch in das Bild vom Gentlemen, der seinen Feinden damit eine „faire Chance“ gibt, ihn zu finden.
Der Startschuss für die dramatische Verfolgungsjagd ist kaum verhallt, da legt der Autor erst mal einen Zwischenstopp in der Provinz ein, wo die andere Hauptfigur ihr sexuell und religiös unerfülltes Dasein fristet. Die 26-jährige Grace, geil und gebildet, ist nach einer unkeuschen Begegnung mit einem Wanderprediger auf der Suche nach dem Mann ihres Lebens, den sie eines Tages durch einen Fingerzeig Gottes auch findet: Es ist Henry Dante mit einem „Lächeln, aus dem Glück und Tod sprachen.“
Moralische Reinigung
Nun aber tritt David Schickler voll aufs Gas und lässt seine Protagonisten im Rausch ihrer Gefühle, die Verfolger im Nacken, planlos durch die Weiten Amerikas kreuzen. Was Grace und Henry teilen, ist nicht nur die Lust auf hemmungslosen Sex in den unterschiedlichsten Spielarten. Beide sind vielmehr auf der Suche nach moralischer Reinigung. Er will und wird auf „reichlich eigentümliche Art und Weise“ für seine bisherigen „Sünden büßen“. In der „Bekehrung des bösen Buben“ und im Kampf gegen Bigotterie sieht Grace die Möglichkeit, den „Himmel erreichen“ zu können. Wie sich beide ihrem Ziel zu nähern versuchen und welche materiellen wie seelischen Barrieren ihnen dabei im Weg stehen, erzählt der New Yorker Autor mit bewundernswertem Witz, grotesker Anschaulichkeit und poetischer Sensibilität. „Alles Kalte in mir, alle harten, eifersüchtigen Sorgen, alles fängt Feuer und verbrennt, wird zu Rauch, wird eins mit dem Himmel“, pocht es in Henrys Gehirn. Schickler entwickelt hier trotz aller Drastik ein feines Gespür für die Sorgen und Nöte seiner Protagonisten. Weder Henry noch sein Boss oder seine Exkollegen sind nur böse oder nur brutal. Er lässt sie an ihren Extremen leiden und so zu authentischen Figuren werden.
Gewalt und Seele
Ähnlich souverän und raffiniert wechselt Schickler auch das Erzähltempo. Spannung und Atmosphäre werden nicht durch ein aufgeregtes Katz- und Maus-Spiel, sondern durch wohldosierte Momente der Verzögerung erzeugt. Der Showdown stellt sich denn auch ebenso subtil wie überraschend ein. Die schräge Romanze endet trotz aller Dramatik seltsam versöhnlich. Schicklers „Road Movie zum Lesen“ setzt nämlich nicht wie David Lynchs „Wild at Heart“ oder Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“ allein auf die groteske Überzeichung von Opfern und Tätern: Schickler schenkt ihnen eine Seele.
Jörg von Bilavsky
David Schickler: Fette Klunker (Originaltitel: Sweet and Vicious). Aus dem Amerikanischen von Anke Caroline Burger. Karl Blessing Verlag. München. 2005. Gebunden. 288 S., 18,00 Euro. ISBN 3-89667-171-5