Geschrieben am 10. Dezember 2014 von für Bücher, Litmag

DebütantInnen (3): Güntner & Eisel

Frank Göhre wirft einen Blick auf aktuelle Debütromane. Diesmal betrachtet er die Debüts von Verena Güntner und Jens Eisel.

Verena Günther_Es bringenGenau hingegöhrt

Luis ist Sechzehn und ein dämliches Arschloch. Voll gestört, echt krass drauf oder wie auch immer es Luis selbst sagen würde, natürlich nicht auf sich bezogen, sondern auf irgendeinen anderen Typ, der in seiner Ecke rumeiert. Seine Ecke, das ist eine anonyme Hochhaussiedlung am Stadtrand, das ist ein Freibad und sonst eigentlich nichts. Das ist Luis Spielfeld. Da schließt er seine Fick- und Pisswetten ab („Hab sie gefickt, schöne Stöße, Kohle her!“), kippt Alk bis zum Abkotzen in sich rein und hält sich für den absolut Coolsten.

Ein Arschloch eben, das am liebsten auch noch die eigene („voll geile“) Mutter flachlegen und ordentlich durchknallen würde. Aber das bleibt Phantasie. Das auszusprechen traut sich Luis dann doch nicht. Sein bester, vier Jahre älterer Freund hingegen tut es einfach. Er pennt mit Luis Mutter. Und da präsentiert sich dann das großmäulige Arschloch als echt weinerliches Arschloch.

Luis ist der Protagonist, der Ich-Erzähler, des Debütromans „Es bringen“. Die 36jährigen Autorin Verena Güntner hat zweifellos bei den Kids seines Alters und Umfelds genau hingehört und hingesehen. Die Story von Luis, seiner Mutter und seinem Freund Milan ist ein durchaus realistisches Abbild derer, die am Rand der Gesellschaft stehen. Die Gangrituale der Jungs aber auf 250 Seiten ausgewalzt, sind dann doch eine arg ermüdende Lektüre. Und was Luis letztlich als positive Entwicklung zugeschrieben wird, ist ein nettes Märchen – in der Realität wird so jemand wie er nicht so schnell weich. Oder auch gar nicht.

Jens Eisel_HafenlichterSchnörkellos und eindringlich

Wer weder aufgemotzt schreibt noch seine Geschichten in Gefühlskitsch enden lässt ist der Hamburger Jens Eisel. Was er von ehemaligen Arbeitskollegen und Freunden unter dem Titel „Hafenlichter“ erzählt ist tief empfunden, sind Nächte, in denen wortlos Nähe entsteht und kleine Schritte aufeinander zu. Eisels Sprache ist knapp. Mit wenigen Sätzen beschreibt er eine alltägliche Situation und man ist gleich drin: Als Fernfahrer auf der ungeplanten Suche nach der Tochter, als Paketauslieferer, als Sparringspartner oder Altenpfleger: „Manchmal frage ich mich, was passiert wäre, hätte ich mich für einen anderen Job entschieden. Im Grunde ist mir bewusst, dass man völlig austauschbar ist, und trotzdem bin ich mir sicher, dass die Dinge anderes verlaufen wären.“

Da wäre einem alten, allein lebenden Mann wahrscheinlich kein noch so kleines Stück Freiheit ermöglicht worden, keine Fahrt raus aufs Land, kein Blick von der Hochbrücke aus über den Hafen. Und so manch anderer wäre verelendet oder hätte resigniert.

In Eisels 17 Geschichten machen die jeweiligen Protagonisten zwar keine Höhenflüge, aber sie empfinden zumindest für kurze Zeit so etwas Glück und Zufriedenheit und kommen mit sich ins Reine. Das rührt an. „Hafenlichter“ ist ein in jeder Hinsicht starkes Buch, von einem Autor, der schnörkellos und eindringlich zu erzählen weiß.

Frank Göhre

Verena Güntner: Es bringen. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 250 Seiten. 18,99 Euro.
Jens Eisel: Hafenlichter. Stories. Piper Verlag, München 2014. 144 Seiten. 16,99 Euro.

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