Weihnachten steht vor der Tür und damit verbunden immer wieder die Frage, was man seinen Liebsten unter den Baum legen soll. Der Buchverkauf boomt derzeit, doch sollte der Kauf des richtigen Buches wohl überlegt sein, denn nicht nur Thriller können tragisch enden, Weihnachtsfeste auch – findet Thorlef Czopnik, der heute unseren kriminalliterarischen Weihnachtsmann gibt:
Siegfried Langer – „Sterbenswort“
Worum geht es?
Dr. Kathrin Voss plagt ein dunkles Geheimnis aus ihrer Jugend: Sie hat zusammen mit ihren Freunden in einer kalten Winternacht einen Bekannten, Erik, vor die S-Bahn geworfen. Die Hoffnung, dass sich ihre Probleme zwischen Gleisen und Schwellen wie der Körper ihres ehemaligen Mitbewohners auflöst, scheitert. Jahre später wird Kathrins Tochter von einem Mann angesprochen, der Erik zum Verwechseln ähnlich sieht. Die einstige WG versammelt sich, um herauszufinden, wer hinter dem Katz- und Maus-Spiel steckt und dabei müssen sie erkennen, dass sie sich in einem tödlichen Wettbewerb befinden, in dem sie nur noch verlieren können.
Langer hat hier einen soliden Thriller geschrieben, der mit dem altbekannten Motiv des Totgeglaubten Feindes spielt. Doch wer jetzt Gemetzel und eine Schrecksekunde nach der anderen erwartet, liegt falsch. Viel eher durchzieht diesen Thriller die Grundangst aller Eltern, was mit ihren Kindern passieren könnte, wenn sich jemand an ihren Kindern vergreift oder ihren Sprösslingen etwas Furchtbares zustößt.
Das einzige Manko des Thrillers ist, dass Siegfried Langer etwas zu früh die Auflösung parat hält und dass das finale Duell etwas zu flach ausfällt. Der Weg dorthin allerdings wartet mit Spannung auf.
Daher können Sie diesen Thriller gerne verschenken, ohne davon ausgehen zu müssen, dass sie leblos am nächsten Morgen unter dem Weihnachtsbaum liegen. Außer natürlich Sie verschenken das Buch an junge Eltern: Da könnte die Reaktion etwas na ja ausfallen …
Siegfried Langer: Sterbenswort. Roman. München: List 2012. 336 Seiten. 8,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
James C. McFetridge – „Unendlicher Tod“
Worum geht es?
Sam Baxter wird mitten in der Nacht von einem unheimlichen Anrufer geweckt. Als Kameramann für einen kleinen Lokalsender wird er kurze Zeit später zu einem Museum gerufen, wo man eine verstümmelte Leiche gefunden hat. Ab diesem Zeitpunkt verwandelt sich sein Leben in eine Achterbahnfahrt: Er gerät unter Mordverdacht, wird an Orten gesichtet, an denen er gar nicht war, und seine Kreditkarte ist überzogen. Daneben macht ihm noch sein Chef, ein „Sackgesicht“ (dazu gleich mehr) das Leben zur Hölle. Als Sam dann auch noch auf den Künstler „Guy“ trifft, gerät alles aus den zeitlichen Fugen.
Ein lockerer Stil macht einen Thriller nicht unbedingt lesenswerter, noch dazu, wenn sich der Stil irgendwann bei dem Niveau eines Oberstufenschülers eingependelt hat.
Das Buch verdient eher den Titel „Unendliche Langeweile“. Ein Erstling, der scheinbar im Baukasten „Thriller für Anfänger“ entstanden ist. Nach etwa 120 Seiten hat man schon begriffen, was Sache ist, und muss sich der endlos nervigen Wiederholung ergeben, dass Sams Chef ein „Sackgesicht“ ist, denn das wird gerade im ersten Drittel an jeder möglichen Stelle erwähnt und immer wieder erklärt.
Um dem noch die Krone aufzusetzen gibt es auch noch eine nette Zeitreise und eine Wiederholung des ersten nervigen Drittels. Keine Sorge, das wird nur grob skizziert, damit die Logiklöcher und der mehr als paradoxe Handlungsverlauf sich so richtig prächtig entfalten können.
Schenken Sie dieses Buch einem etwas logisch denkenden Menschen, erleben Sie das Weihnachtsmahl wohl kaum. Wenn Sie Glück haben, dürfen Sie neben dem Schneemann draußen schlafen, haben Sie etwas weniger Glück, geraten Sie in eine Zeitschleife wie der Protagonist des Romans und müssen den Roman jeden Tag erneut lesen. Oder schenken Sie es ihrem persönlichen „Sackgesicht“, wäre auch eine Alternative.
James C. McFetridge: Unendlicher Tod. (Static, 2012 ). Roman. Deutsh von Ulrike Clewing. München: Knaur 2012. 400 Seiten. 8,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Steve Mosby – „Schwarze Blumen“
Worum geht es?
Hingegen wunderbar ist der nächste Roman, der so gar nicht in das Schema eines normalen Thrillers passen will:
Ein Mädchen erscheint eines Tages auf der Promenade, in ihrer Hand eine schwarze Blume. Dann gibt es noch einen Roman, der dieses Szenario schildert. Ein toter Schriftsteller, dessen Sohn sich auf Spurensuche nach dem Geheimnis seines Vaters macht. Eine Farm, auf der grausame Morde geschehen. Dazu dann noch ein Buch in einem Buch – Thrillerherz, was willst du mehr?
Wer sich für Graf Krösus des Thrillers hält und jeden Plot nach einigen Seiten bislang durchschaut hat, soll sich an diesem Werk versuchen. Komplexe Handlungsstränge, die die volle Aufmerksamkeit des Lesers fordern. Denn neben der eigentlichen Handlung tauchen immer wieder fragmentartige Auszüge aus dem Roman „Die Schwarze Blume“ auf, welche die Handlung vorantreiben. Der Leser wird vor das Problem gestellt, was daran Fiktion und was Realität ist, und nach und nach begreift man, dass alles ganz anders ist, als man dachte. Mosby versteht es neben einer guten Story, auch eine einzigartige Atmosphäre zu schaffen, die zwischen Horror und Thriller hin und her springt.
Der Roman gehört zu den Highlights 2012.
Egal, welches Geschenk Sie schon haben, „Schwarze Blumen“ muss noch dazu! Das wäre nämlich sonst unterlassene Lesehilfe.
Als Folge Ihres Geschenks können Sie sich schon einmal auf ein Gespräch gefasst machen, das die Ebene von „Mhm“ und „Jaja“ kaum übersteigen wird und danach auf eine Diskussion über das Buch.
Steve Mosby: Schwarze Blumen. (Black Flowers, May 30, 2012 ) Roman. Deutsch von Anke und Eberhard Kreutzer. München: Knaur 2012. 400 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Michael Connelly – „Spur der toten Mädchen“
Worum geht es?
Mickey Haller wechselt vom Strafverteidiger auf die Seite der Staatsanwaltschaft. Haller vertritt die Anklage in einem Prozess gegen Jason Jessup, der für die Entführung und Ermordung eines kleinen Mädchens 24 Jahre zuvor verurteilt wurde. Doch eine DNA-Analyse beweist scheinbar das Gegenteil und Jessups Anwalt plädiert auf die Freilassung. Wurde damals schlampig gearbeitet oder war der unausstehliche Jessup wirklich der Killer des kleinen Mädchens?
Connelly packt hier all seine Routine in das Buch und langweilt dabei kaum. Aus zwei Perspektiven schildert er den Fall: zum einen Mickey Haller, der schon aus den Vorgängern bekannt ist, der jetzt als neutraler Ankläger Jessup wieder zurück in das Gefängnis bringen soll. Haller fungiert hier als die erklärende Figur (aus der Ich-Perspektive), die all die juristischen Gepflogenheiten des amerikanischen Rechtssystems auseinandernimmt. Harry Bosch, Hallers Bruder (Er-Perspektive), ist für die Action zuständig, die jedoch erst gegen Ende des Buches den Leser erwartet. Wer Grisham und Justizthriller verehrt, wird hier niederknien, denn Connelly schafft Zweifel zu säen, den Leser in einen Geschworenen zu verwandeln und dabei die paradoxen rechtsverdrehenden Gesetze und Regeln dermaßen gut an den Mann zu bringen, dass man sich danach vorkommt, als könnte man so einen Fall wie den von O. J. Simpson stemmen.
Allerdings gibt es zwei Mankos an dem Buch: Der Titel „Spur der toten Mädchen“ verfehlt etwas sein Ziel, denn eigentlich geht es um ein Mädchen. Das zweite Manko betrifft die Leser, die sich das erste Mal auf Connelly einlassen: Der Anfang ist etwas zäh und langatmig, die Lesekondition wird allerdings ab der zweiten Hälfte des Buches belohnt.
Das Buch kann guten Gewissens verschenkt werden, ohne dafür belangt zu werden. Allerdings sollten Sie sich nicht wundern, wenn Ihnen Ihr Fehlverhalten der letzten Jahre plötzlich zur Last gelegt wird und sich Ihr Bekannter an (hoffentlich nur) soziale Vergehen aus der Vergangenheit erinnert. Überlegen Sie sich beim Weihnachtsessen besser eine gute Verteidigungsstrategie.
Thorlef Czopnik
Michael Connelly: Spur der toten Mädchen (The Reversal, September 1, 2011 ). Roman. Deutsch von Sepp Leeb. München: Knaur 2011. 496 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.