Geschrieben am 25. April 2012 von für Bücher, Litmag

Derek Walcott: Weiße Reiher

Weiße, ewig brechende Brecher

– Das große Alterswerk von Derek Walcott besprochen von Carl Wilhelm Macke.

Dichter gibt es, deren Namen man nur zu nennen braucht, und sofort fühlt man sich weit weg von den eigenen, immer gleichen vier Wänden. Bruce Chatwin etwa – das Licht in Patagonien. Christoph Ransmayr – das ewige Eis am Nordpol. Thomas Bernhard – ein Wiener Caféhaus. Antonio Tabucchi – die Straßenbahn in Lissabon. Und fällt der Name Derek Walcott dann wird man weit weggetragen in die Karibik. Die unendlichen Weiten des Meeres, die „ewig brechenden Brecher“, wie es in einem seiner Gedichte heißt. Aber für Werbeprospekte der Tourismusindustrie eignen sich seine Verse kaum. Die Gedichte sind zu lang, zu wenig milde getönt, ohne Sonnenuntergänge und weiße Strände. Und überhaupt, wer ist eigentlich Derek Walcott?

Erst als man ihm 1992 den Literaturnobelpreis verlieh, wurde der Dichter und Dramatiker Derek Walcott auch jenseits von Expertenkreisen bekannt. Bis dahin verband man mit der Karibik, seiner Herkunftsregion, allenfalls Kokosnüsse, leichte Musik und schwere Herbststürme. Und dann erschien drei Jahre später das gewaltige Versepos „Omeros“ von Walcott, das man nur einmal in die Hand nehmen muss, um zu erahnen, was das ist: Weltliteratur.

In einem einzigen, sich im Deutschen über gut 350 Seiten hinziehenden Langgedicht überträgt Walcott die „Odyssee“ des Homer auf seine karibische Heimat. Ein der Wucht der „ewigen Brecher“ angemessenes Epos. Bewundernswert ist auch die grandiose Leistung von Konrad Klotz, der diese weit ausholende Geschichtsreise in Versform ins Deutsche übertragen hat. Für den nur an kürzere, möglichst in Reimform abgefasste Lyrik gewöhnten Leser ist die Lektüre der langen Gedichte von Walcott vermutlich nicht immer einfach. Hat man sich aber erst einmal eingelesen, dann kann man sich von dem Erzählrhythmus der Poesie treiben lassen.

Kraftvoll am Abend des Lebens

Licht und Farben, Zeiten und Gezeiten, Träume und weite Horizonte spielen in den Gedichten von Walcott stets eine zentrale Rolle. Hier ist immer alles in Bewegung und nur die unendlichen Weiten des Meeres vermitteln einem die Ruhe und das Einverständnis mit dem Leben. „Das Herz kommt heim/ und will sich an allem festhalten, wovon es loskam:/ noch stärker brennt von Salzigem sein Durst.“

In dem neuesten Werk von Walcott mit dem Titel „Weiße Reihe“ sind die Gedichte weniger episch auslaufend wie die Wellen am Strand, aber einige ziehen sich schon noch über Seiten hinweg. Das Meer bleibt auch weiterhin der große Protagonist in der Lyrik des nunmehr über achtzigjährigen Derek Walcott, aber es ist nicht mehr das aufbrausende, brechende und aufwühlende Meer. Walcott, wie man hört, schwer an Diabetes erkrankt, nimmt hier auch Abschied von seinem Meer, von seinem immer auch sinnenfrohen Leben. Noch einmal erinnert er sich an einige seiner vielen Reisen durch Europa, auch an Frauen, die ihn durch dieses Leben hindurch begleitet haben.

An Direktheit lassen einzelne poetische Bilder über die „Gebrechen des Alters“ nichts zu wünschen übrig. „Meine Lust ist bei bester Gesundheit, doch selbst dann, wenn jeder/ meiner Türme versickert zu feuchtem Sand, biegt Freude das Schilfrohr vom Jubel meiner Feder …“ Um aber die Kraft des alternden Dichters wahrzunehmen, muss man schon ganze Gedichte und nicht nur kleine Ausschnitte zitieren. „Sechzig Jahre danach“ lautet der Titel eines für diesen Band sehr typischen Gedichts:

„In meinem Rollstuhl in der Virgin Lounge, Vieuxfort,
sah ich in ihrem Rollstuhl sitzend, ihre Schönheit
verkrümmt wie eine zerdrückte Blume, sie, der ich zuvor,
als ihr das Feuer meiner Jugend dienstbar war,
goldne Schönheit und Jugend für alle Zeit
verhieß, ich mochte altern. Alt, mit Tripelkinn, ihr Lächeln kam
verheerend aus einem faltigen Netz, doch für einen Moment
spürte ich altes Fieber, als wir da saßen, kaputt, voll Haß
auf die Zeit und die Lüge der Nettigkeiten.
Kleine Wellen lappen noch immer am Kai,
wo mich der Bootsführer im orangenen Abenddämmer verließ,
ein halbes Jahrhundert ists her, ich immer jagend
nach dem unmöglichen Vollzug; unsre Bekannten
wußten, so kommen wir nicht zusammen, nicht auf der Promenade.
Jetzt durchfuhren uns stumm die Messer der Sprechanlage.“

Vergessen darf man bei der Lektüre dieser noch am Abend des Lebens so kraftvollen, farbigen, wunderbar dem Kommen und Gehen des Meeres angepassten Gedichte aber nicht Werner von Koppenfels, der es geschafft hat, die „karibische Seele“ von Walcott in die eher harte, weniger von Licht und Meeresbildern geprägte deutsche Sprache zu übertragen. „Fashion fades“ mit die „Mode modert“ zu übersetzen oder für „the white eternally coming combers“ die deutsche Übersetzung „die weißen, ewig brechenden Brecher„ zu finden – darauf muss man erst einmal kommen. Derek Walcott und Werner von Koppenfels – zwei alte Meister, die den Jüngeren das Staunen lehren.

Carl Wilhelm Macke

Derek Walcott: Weiße Reiher. Deutsch von Werner von Koppenfels. München: Carl Hanser Verlag 2012. 184 Seiten. 19,90 Euro. Eine Leseprobe finden Sie hier (PDF), zur Webseite des Münchner Lyrik-Kabinetts geht es hier.

Tags :