Geschrieben am 15. Juni 2006 von für Bücher, Litmag

Dragana Tomasevic/ Birgit Pölzl/ Robert Reithofer : Frauen schreiben…

Schreibende Frauen in Südosteuropa

Dank der Initiative des österreichischen Bundeslandes Steiermark, dem ‚Kulturzentrum bei den Minoriten’ in Graz und anderer Sponsoren, hat der im deutschsprachigen ‚Mainstream’ vollkommen unbekannte Leykam-Verlag eine lobenswerte Edition herausgebracht „Frauen schreiben – Positionen aus Suedosteuropa“

Soll Peter Handke nun den Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf erhalten oder nicht? Dazu an dieser Stelle kein Wort, weil ja ohnehin schon zu viele, vor allem zu viele überflüssige Worte dazu geschrieben, gesagt und manchmal auch geschrieen worden sind. Dass sich aber Handke zu wenig differenziert über die Realität der serbischen Gesellschaft zu Zeiten der Herrschaft des Milosević-Clan äußert, kann und muß ihm vorgeworfen werden. Ebenso hat aber auch Wim Wenders recht, wenn er in der Verteidigung seines Freundes Handke dessen Kritikern vorwirft, sie hätten ja nie eine Zeile aus seinen literarischen Werken gelesen. Zu diesen Unwissenden oder, wenn man es schärfer liebt, diesen Ignoranten auf allen Seiten, kommen noch weitere des Lesens Kundige, aber der neueren post-jugoslawischen Literaturentwicklung Unkundige hinzu.

Einige Namen von Schriftstellern sind durch Übersetzungen inzwischen auch im deutschsprachigen Raum vielleicht bekannt – an Aleksander Tisma, Dragan Velikić, Bora Cosić, Dzevad Karahasan oder David Albahari ist zu denken – aber dann endet auch schon unsere Kenntnis der slowenischen, serbischen, kroatischen, bosnischen oder kosovarischen Gegenwartsliteratur. Noch dünner – und peinlicher – wird unsere Kenntnis von Autorinnen, die sich in den letzten Jahren vor, während und nach den Kriegen auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien zu Wort gemeldet haben. Slavenka Drakulić ist vor allem durch ihr letztes Buch über den Haager Kriegsverbrecherprozess „Keiner war dabei“ einem größeren Kreis bekannt geworden. Auch Dubravka Ugresić hat bei uns ebenso einen Namen wie vielleicht auch die junge Theaterautorin Biljana Srbljanović. Ganz aktuell muß die bosnische Filmregisseurin und Autorin Jasmila Zbanić mit ihrem bei den Berliner Filmfestspielen ausgezeichneten großen cineastischen Werk „Grbavec“ genannt werden. Sehr viel mehr wissen wir, über Handke und Milosević scheinbar alles, über Schriftsteller im Südosten Europas wenig Wissende und über Schriftstellerinnen fast vollkommen ignorante Westeuropäer nicht.

Wenigstens kleine Segmente unserer Ignoranz lassen sich jetzt mit einer abseits von den deutschen Großverlagen in einer bescheiden daherkommenden Anthologie beseitigen. Dank der Initiative des österreichischen Bundeslandes Steiermark, dem ‚Kulturzentrum bei den Minoriten’ in Graz und anderer Sponsoren, hat der im deutschsprachigen ‚Mainstream’ vollkommen unbekannte Leykam-Verlag eine lobenswerte Edition herausgebracht „Frauen schreiben – Positionen aus Suedosteuropa“. Autorinnen werden hier vorgestellt, deren Namen uns bislang unbekannt waren. Oder sind etwa Marusa Krese, Lidija Dimkovska, Jasmina Musabegović und Judita Salgo über einen sehr kleinen Kreis von Experten südosteuropäischer Literatur ein Begriff? In den Texten des von Dragana Tomasević, Birgit Pölzl und Robert Reithofer herausgegebenen Bandes blätternd, stößt man immer wieder auf Passagen, die man gerne auch in der aktuellen ‚Handke-Heine-Schlacht’ des deutschen Feuilletons lesen und hören möchte. Was die Serbin Jasmina Lukić zur Entwicklung „einer neuen, selbstbewussten Tradition weiblichen Schreibens in Serbien’ mitteilt, möchte man Peter Handke auf einem Silberteller präsentieren: „ Die Jahre der Herrschaft von Slobodan Milosević und der gesellschaftliche Rückhalt, der diese Herrschaft erst ermöglichte, die destruktive nationalistische Politik eines wesentlichen Teils der serbischen Gesellschaft und ihrer intellektuellen Elite samt ihrer verheerenden Resultaten, die Frage der Verantwortung für die Kriege in der Region und ihre konkreten Folgen, das alles sind Probleme, mit denen sich die serbische Gesellschaft auseinandersetzen muß.“ Als fern von südosteuropäischen Ländern lebender Mann kann ich nicht beurteilen, ob die slowenische Autorin Marusa Krese Recht hat mit ihren einleitenden Bemerkungen über „Schreibende Frauen in Südosteuropa“. Überzeugend ist es aber, was sie über unterschiedliche Wahrnehmungen der Gewalt auf dem Balkan schreibt. „ In ganz Ex-Jugoslawien waren es die schreibenden Frauen, die sich am deutlichsten gegen den Nationalismus ausgesprochen hatten…Manchmal schien es mir, es handelte sich um einen männlichen antifeministischen Putsch“. Und auch, wenn es sich um eine diskussionswürdige feministische Einseitigkeit handeln sollte, möchte man diese Interpretation der Gewaltexzesse in der jüngeren europäischen Geschichte lieber diskutieren als das unentwegte Spekulieren über die mutmaßlichen Ursachen der Sympathie eines österreichischen Schriftstellers für ein fernes Land, das nicht mehr existiert. Ein Vorschlag zur Güte: Soll er doch den Heinrich-Heine-Preis erhalten und dann die damit verbundene Geldsumme für Übersetzungen von neueren literarischen Texten aus den Sprachen des ehemaligen Jugoslawien ins Deutsche reservieren. Damit wüssten wir mehr von der Realität in jenen Ländern, die Handke oft so wortstark zu idealisieren weiß. Und die jungen Autorinnen (und Autoren) aus Südosteuropa würden hier dann auch ein Echo finden, das ihnen (auch materiell) das Überleben in ihren Ländern sichert.

Carl Wilhelm Macke

Dragana Tomasević/ Birgit Pölzl/ Robert Reithofer ( Hrsg. ): Frauen schreiben – Positionen aus Südosteuropa. Leykam-Verlag, Graz, 2006, 223 S.