Geschrieben am 28. Februar 2009 von für Bücher, Crimemag

Ed McBain: Die Gosse und das Grab

Aus dem „hardboiled“ Modellbaukasten

Literaturgeschichte ist interessant, Genre-Geschichte notwendig – und beides manchmal hartes Brot. Vermutlich weil unmittelbarer Zugang zu historischen Texten eher etwas für Schwarmgeister ist. Gerade bei geliebten Autoren wie Ed McBain. Eine nüchterne Einschätzung von Joachim Feldmann.

Wer nur die Romane um das 87. Polizeirevier kennt, die Salvatore Alberto Lombino (1926–2005) unter seinem wohl bekanntesten Pseudonym Ed McBain verfasste, wird vielleicht überrascht sein, dass dieser große amerikanische Erzähler auch als Autor eines bemerkenswert durchschnittlichen Reißers um einen ebenso hartgesottenen wie sentimentalen Privatschnüffler in Erscheinung getreten ist. Matt Cordell heißt der Mann, dem das Schicksal in einem Abwasch die Lizenz und die Frau seines Lebens genommen hat. Nun gilt sein Interesse vor allem dem Alkohol, Aufträge nimmt er nur noch gelegentlich an.

Als Evan Hunter hatte Ed McBain seit 1953 eine ganze Serie von Kurzgeschichten veröffentlicht, in denen Cordell die Hauptrolle spielt. Glaubt man der Mammoth Encyclopdedia of Modern Crime Fiction, galten sie als die härtesten und schockierendsten Privatermittler-Storys nach Spillanes Mike Hammer-Abenteuern. 1958 erschienen die Geschichten in dem Sammelband I like ’em tough und aus Cordell wurde Curt Cannon, der nun auch als Autor herhalten musste. So auch im einzigen Roman der Reihe, I’m Cannon – for hire, der ebenfalls 1958 erschien und nun unter dem Titel Die Gosse und das Grab in Rotbuchs Hard Case Crime-Reihe neu übersetzt vorliegt. Wie sich dem informativen Nachwort des Übersetzers Andreas C. Knigge entnehmen lässt, kam eine stark gekürzte erste deutsche Ausgabe bereits ein Jahr nach dem Erscheinen des Originals als Tödliche Lügen auf den Markt.

Learning by doing?

Die Gosse und das Grab
liest sich, als ob Plot und Personal einem Bausatz für die Anfertigung harter Detektivromane der 40er und 50er Jahre entnommen wären. Widerwillig nimmt der Ermittler den Auftrag eines alten Freundes an, der befürchtet, dass sein Geschäftspartner ab und an in die Kasse greift. Dummerweise ist der zu diesem Zeitpunkt bereits mausetot. Jemand hat ihn erschossen und an der Wand hinter der Leiche mit Kreide die Initialen des jetzigen Alleininhabers notiert, so dass dieser folgerichtig als Hauptverdächtiger festgenommen wird. Polizisten verfallen in Romanen dieses Schlages immer auf die nächstliegende Lösung. Nicht so natürlich unser Detektiv, der hier wieder Cordell heißen darf und sich umgehend auf die Suche nach dem wahren Täter begibt. Dabei macht er die Bekanntschaft einiger attraktiver Damen und gewalttätiger Herren. Es wird viel getrunken. Auf erotische Nächte folgen wüste Prügeleien, aus denen Cordell zwar stark blessiert, aber ansonsten unbeeindruckt hervorgeht. Die berühmte Szene, in der sich der Held trotz schwerster Verletzungen mühevoll ankleidet und das sichere Krankenzimmer humpelnd verlässt, um seine Ermittlungen zum Abschluss zu bringen, darf ebenso wenig fehlen, wie die schmerzliche Entlarvung des wahren Täters. Wer sich für genrespezifische Forschungen erwärmen kann, dem sei ein Vergleich mit dem berüchtigten Schluss von Spillanes Ich, der Richter empfohlen. Im Unterschied zu Mike Hammer haben wir es bei Matt Cordell durchaus mit einem gebrochenen Charakter zu tun: „Ich nahm noch einen Schluck. Es war verdammt heiß, und ich fühlte mich allein. Ich fühlte mich verdammt allein.“

Genrehistorisch betrachtet, ist die Veröffentlichung dieses Romans unbedingt verdienstvoll, erkennen wir doch in Matt Cordell einen der Vorläufer von Lawrence Blocks alkoholabhängigem Ermittler Matthew Scudder. Als Lesevergnügen allerdings taugt Die Gosse und das Grab nur bedingt.

Joachim Feldmann

Ed McBain: Die Gosse und das Grab (I’m Cannon – for Hire, 1958 unter dem aka: Curt Cannon; The Gutter and the Grave, 2005). Roman. Aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Andreas C. Knigge. Berlin: Rotbuch (Hard Case Crime) 2009. 220 Seiten. 9,90 Euro.