Glücklose Seelendetektivin
Edith Kneifl verzettelt sich in der seelischen Nabelschau ihrer Figuren. Too much Psycho, findet Jörg von Bilavsky, hegt aber fürs nächste Buch durchaus Hoffnung.
Glücklich, wer vergisst, diesen Kriminalroman je gelesen zu haben. Denn er wird sich nicht an die öden Stunden erinnern müssen, in denen er von den pubertären Ferienerlebnissen zweier Mädchen am österreichischen Attersee erzählt bekam oder von Kindesmissbrauch, Inzest und Vergewaltigung hörte. Er wird vergessen, dass die Psychotherapeutin Joe Bellini wider Erwarten von einer Halbschwester erfährt, die in Jugendtagen ihre beste Freundin war und die sie nun aus der U-Haft boxen soll. Angeblich habe sie ihren Stiefvater im Streit mit einem Schürhaken getötet. Angeblich soll er die Minderjährige vergewaltigt haben. Zu allem Überfluss wird angeblich auch noch ein Freund der Familie tot im Bootshaus aufgefunden. Besser gesagt sein feinsäuberlich vom Rumpf abgetrennter Kopf. Doch für beide Morde lassen sich die Schuldigen nicht so leicht finden, wie es zunächst scheint.
Dazu bedarf es des psychologischen Einfühlungsvermögens der melancholischen Joe. Für sie wird die unfreiwillige Reise an den Attersee zugleich zu einem trostlosen Trip in ihre Teenagertage. Mit der Erinnerung an die Stunden, Tage und Wochen, die sie mit Franzi, der Mordverdächtigen, verbrachte, sollen auch die Motive für den Mord ans Tageslicht kommen. Aber es tut sich nichts. Weder die von Kneifl eingeschobenen Rückblenden an die unbeschwerten Sommertage von 1979 noch das merkwürdige Verhalten von Franzis exzentrischer Adelssippe in der Gegenwart liefern eine Spur zu Tat und Täter.
Abgründe …
Joe tappt sprichwörtlich im Dunkeln, ist schlecht gelaunt, weil sie dazu neigt „alles zu hinterfragen“ und „zu analysieren“. Mit ihren „ewigen Grübeleien“ verdirbt sie aber nicht nur sich „jeden Spaß“, sondern auch dem Leser. Der darf sich nämlich ihres „ganzen Psycho-Zeugs“ erfreuen. So wenn sie Franzis degenerierten Bruder Albert nach langer Beobachtung und kurzen Gesprächen mit dem Patienten attestiert: „Für mich steht fest, dass er nicht nur an einer Depression leidet, sondern auch an einer schweren Zwangsneurose mit gleichzeitig auftretenden angstneurotischen Symptomen. Wahrscheinlich hat er sogar eine massive Persönlichkeitsstörung.“ Nie und nimmer ist diesem degenerierten Burschen ein „brutaler Mord“ zuzutrauen. Aber wem dann? Das ist die große und leidige Frage, der Joe und auch die Kommissare nicht auf den Grund kommen.
Eher beiläufig, um nicht zu sagen zufällig, kommen auf den letzten Seiten Mörder und Motive zum Vorschein. Aber auch nur, weil die Familienbande aus lauter Verzweiflung und Verdrängung unerwartet auspackt. Da bleibt nicht mehr viel zu ermitteln. Da blickt man nur noch in die Abgründe menschlicher Leidenschaften und Leidensfähigkeit. Aber die in Wien praktizierende Psychoanalytikerin Kneifl trägt ein wenig zu dick auf. Ihr Buch ist weder ein spannender Krimi noch ein psychologisch erhellender Familienroman geworden. Eher ein melancholisches Melodrama, dass mit sentimentalen Jugenderinnerungen und Seelenanalysen überfrachtet ist. Das mag sie vielleicht gespürt haben, als sie ihre fiktive Kollegin Joe denken lässt: „Ich sollte besser meinen Beruf aufgeben. So viel Blindheit darf sich eine Therapeutin einfach nicht erlauben.“ So weit muss Edith Kneifl natürlich nicht gehen. Aber in ihrem nächsten Buch sollte sie keine glücklose Seelendetektivin mehr ermitteln lassen.
Jörg von Bilavsky
Edith Kneifl: Glücklich, wer vergisst. Roman. Innsbruck-Wien: Haymon Verlag 2009. 256 Seiten. 17,90 Euro.