Geschrieben am 4. Dezember 2013 von für Bücher, Litmag

Erich Kästner: Der Gang vor die Hunde

Erich_Kästner_Der_Gang_vor_die_HundeWarnung vor dem Abgrund

– Sätze, die gute Chancen hätten, gestrichen zu werden – legte man sie heute unter unbekanntem Namen einem Lektor vor:

Das warme Wasser war kalt. Ihr Gesicht sah aus, als hätte sie krumme Beine. Ich habe kein pekuniäres Organ. Der Straßenlärm trommelte wie ein Regenguß an die Scheiben. Der Scheitel reichte ihm bis ins Rückgrat. Nun bin ich hier und lebe vom Bauch in den Mund.

Diese Sätze hier aber haben überlebt. Es sind jetzt sogar – endlich – noch andere, die vor über 80 Jahren gestrichen worden sind, dazugekommen. Die Rede ist von Erich Kästners „Fabian“, jetzt unter dem ursprünglich von ihm gewollten Titel „Der Gang vor die Hunde“ erschienen, ergänzt um die in vorauseilendem Gehorsam vom Lektor damals zensierten Sätze. Lena Blaudez ist begeistert.

Sieht man sich die wegen Ekelfaktors und sexueller und politischer Offenherzigkeit herausrausgeworfenen Textpassagen an, kann man heute nur noch milde lächeln. Curt Weller, der zuständige und eigentlich begeisterte Lektor, fand die ganzen ersten neun Kapitel „geradezu erkältend“ und habe „direkt aufgeatmet“, „als im zehnten Kapitel Menschlichkeit … in Erscheinung tritt“. Auch der jetzige Titel kam bei ihm nicht durch, schon gar nicht „Saustall“ und „Jugend im Vacuum“. Ausführlich beschreibt der Entdecker des ursprünglichen Typoskripts, Sven Hanuschek, die Begleitumstände der Entstehung und Vermarktung des Romans, den er nun sorgsam und mit allen Streichungen und Ergänzungen vervollständigt glücklicherweise neu herausgegeben hat.

Sven_Hanuschek_Keiner blickt dir hinter das GesichtLakonie und Schärfe

Lange habe ich kein Buch gelesen wie dieses, so voller Witz und Charme und Traurigkeit, wo das Lachen in der Kehle steckenbleibt und man von Seite zu Seite schwankt zwischen völliger Ergriffenheit und seltsam fremder Kühle. Kaum einer beschrieb wohl Berlin in den 30er Jahren, Ecken und Plätze, Puffs und Cafés und die, die sie bevölkerten, so voll resignierter Lakonie, Schärfe und Pessimismus wie Erich Kästner.

Der Roman „Der Gang vor die Hunde“ ist die Geschichte des arbeitslosen Germanisten Fabian, er ist aber auch eine Liebesgeschichte, eine Geschichte um Job und Ehrgeiz, Hierarchie und Ignoranz, Hoffnungen und Selbstmord, Geldmangel und Verschwendung, Hilfsbereitschaft und Gleichgültigkeit, aber vor allem ist es eine Geschichte von Persönlichkeiten, und was die Umstände in dieser Zeit mit und aus ihnen machten. Und natürlich ist er ein Berlin-Porträt kurz vor dem Untergang, ein Panorama mit vielen Details und den für Kästner so typischen Beobachtungen.

Es war sein erster Roman, den er nicht für Kinder schrieb. Und auch nicht für Konfirmanden, ganz gleich welchen Alters, wie er in einem Vorwort betonte. Davon hat er mehrere geschrieben, Vor- und Nachworte, für „Kunstrichter“ und für „Sittenrichter“ und später für die Neuauflagen. Er verstand es großartig, Chronist des Lebensgefühls seiner Zeit zu sein, zumal „die Vernunft ins Exil ging“. Kästner schrieb, er hatte mit dem Roman vor dem Abgrund warnen wollen, in letzter Minute und mit allen Mitteln.

Kästner_Fabian_1931Angestammter Platz: der verlorene Posten

„Fabian“ ist von den Nazis verbrannt worden. Kästner ging hin und sah sich das an. Selbst später ging er davon aus, dass das Buch vor allem häufig missverstanden werde. Er meinte, in der 1946 erschienenen Neuauflage den Kern des Buches erklärend auf den Punkt bringen zu müssen: „Das vorliegende Buch … ist … eine Satire … Der Moralist pflegt seiner Epoche keinen Spiegel, sondern einen Zerrspiegel vorzuhalten.“ Und des Moralisten „angestammter Platz ist und bleibt der verlorene Posten. Ihn füllt er, so gut er kann, aus. Sein Wahlspruch heißt: Dennoch!“ Wurden damals die „Geschmacksurteile verstaatlicht, in Phrasen geliefert und millionenfach geschluckt …“, so seien die neuen, alten Mächte heute wieder fanatisch dabei, „standardisierte Meinungen … durch Massenimpfung zu verbreiten“, schrieb er resigniert für eine Neuauflage 1950. Keine guten Karten für das Verständnis von „Der Gang für die Hunde“. Und wie, fragte sich Kästner bereits bei der ersten Auflage 1931, konnte es denn gelingen, dass der Leser, wenn er das Buch durch hat, mit der Faust auf den Tisch schlägt und alles ändern will?

Heute werden außergewöhnliche Sätze nicht mehr gestrichen, weil die Nazis vor der Tür stehen, sondern wenn Betriebswirtschaftler dahinter stehen. Was täte Kästner, würde er sich das heutige Literatur- und Vermarktungstreiben ansehen? Vermutlich die Schultern zucken, lachend sich umdrehen und dann einen scharfen Text schreiben. Von dem er ahnt, dass entscheidende Stellen gestrichen werden.

Lena Blaudez

Erich Kästner: Der Gang vor die Hunde. Zürich: Atrium Verlag 2013. 320 Seiten. 22,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr über Lena Blaudez.

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