Geschrieben am 11. Juli 2009 von für Bücher, Crimemag

Ernest Tidyman: Shaft und die Geldwäscher

Famous Last Words

Die Figur Shaft und ihre multimediale Präsenz sind einerseits beispielhaft für die Kalkulierbarkeit der populären Kultur und andererseits für die Dynamik einer fiktiven Figur, die den Zeitgeist trifft und ein Eigenleben entwickelt, das die schnöden kommerziellen Interessen weit hinter sich lässt. Der siebte und letzte Shaft-Roman Shaft und die Geldwäscher, der erstmals in Deutschland erscheint, sowie die anderen Shaft-Romane, die seit 2002 in neuen, den Originalen folgenden Übersetzungen beim Pendragon-Verlag erscheinen, sind für Claus Kerkhoff ein willkommener Anlass, sich daran zu erinnern.

Als Shaft im Jahre 1970 das Licht der literarischen Welt erblickte, war er ein Mittdreißiger, rotzig, zynisch, hart und brutal, ein Womanizer und jemand, dem die Meinungen anderer herzlich egal waren. Dieser Shaft entspricht so gar nicht dem gemeinen Klischee eines Neugeborenen, auf das ein Vater stolz sein könnte. Doch genauso hatte sich ihn sein Schöpfer Ernest Tidyman gewünscht. Shaft sollte ein schwarzer Detektiv sein, „very tough, very cool, very black, a superhero of sorts“. Der 1928 in Cleveland geborene Tidyman hatte ein Gefühl, „it was time for a black hero, and he knew he could create a good o­ne“. Dass der weiße Autor einen schwarzen Protagonisten kreierte, entsprang dabei nicht dem Wunsch, sich als Vorkämpfer für die Emanzipation der Schwarzen hervor zu tun, sondern Tidyman wollte schlicht und einfach ein erfolgreicher Schriftsteller sein. Zuvor hatte er erfolgreich als Journalist gearbeitet (u.a. für New York Post und New York Times), bevor er sich 1966 als freier Schriftsteller selbstständig machte. Und Tidymans Kalkulation ging auf: sein Roman Shaft wurde ein Bestseller und war Vorlage zum gleichnamigen Film, der seinen Protagonisten zu einer Kultfigur machen sollte.

Multimedia Shaft

Dass diese Kalkulation aufging, war aber auch in gewisser Weise dem Zufall geschuldet. Als die MGM Studios die Filmrechte kauften, war der Roman noch gar nicht erschienen. MGM Studios akzeptierten Tidymans Drehbuchvorlage, weil das Studio in großen finanziellen Schwierigkeiten steckte. Deshalb musste ein Kassenschlager her und dafür waren sie bereit, etwas noch nie zuvor Dagewesenes zu machen. Für die Verfilmung konnte Gordon Parks als Regisseur gewonnen werden, der ein bekannter Fotograf des Life Magazine war, die Filmmusik komponierte Isaac Hayes und Richard Roundtree übernahm die Hauptrolle. Gordon Parks setzte die Geschichte eines schwarzen Privatdetektivs bildgewaltig und mit einem feinen Gespür für settings um, Richard Roundtree überzeugte als „super-cool leather-clad black private detective“ und die (später mit einem Oscar ausgezeichnete) Filmmusik schuf kongenial eine korrespondierende Atmosphäre. Shaft wurde der erhoffte Kassenschlager und war Initialzündung für die nachfolgende Blaxploitation-Welle im Film.

In kurzer Zeit folgten zwei weitere Shaft Kinofilme, eine Fernsehserie und sechs weitere Romane um John Shaft. 1975 erschien schließlich der siebte Shaft-Roman mit dem sprichwörtlichen Titel The Last Shaft. Damit trat Shaft ab und verschwand in der Versenkung, aus der er erst im Jahre 2000 mit einem quasi Remake (mit Samuel L. Jackson in der Haupt- und Richard Roundtree in einer Nebenrolle) wieder auftauchen sollte.

Jetzt ist erstmals der 1975 veröffentlichte Roman The Last Shaft unter dem Titel Shaft und die Geldwäscher in deutscher Übersetzung im Pendragon-Verlag erschienen und komplettiert die Serie, die seit 2002 in einer neu übersetzten, ungekürzten Ausgabe bei Pendragon herausgegeben wird. Damit ist ein Klassiker der Hardboiled-Literatur endlich vollständig in deutscher Übersetzung auf dem Krimimarkt verfügbar – beste Gelegenheit für alle, Shaft pur und unzensiert (neu) kennenzulernen.

Ernest Tidyman besitzt nicht die schriftstellerische Qualität eines Dashiell Hammett oder Raymond Chandler, aber er ist ein extrem effektiver Autor. Seine Plots haben Löcher wie „quietschende Scheunentore im Wind“ und sind gespickt mit unlogischen Wendungen. Doch seine Romane besitzen eine große erzählerische Wucht, die einen mitreißt und gefangen nimmt und erst am Ende aus ihrem Bann entlässt. Das macht die Shaft-Romane zu einem sehr kurzweiligen, spannenden Lesevergnügen. Davon kann man sich auch im siebten Shaft-Roman Shaft und die Geldwäscher überzeugen. Er enthält wieder alle Ingredienzien, die die Shaft-Romane so erfolgreich gemacht haben: Shaft ist rotzig, zynisch, hart, brutal, und bekommt wieder ausreichend Gelegenheit seine überschüssigen Hormone abzureagieren. Doch dieses Mal ist es nicht irgendein Klient, in dessen Auftrag er sich durch die Geschichte prügelt. Sein alter Freund Captain Anderozzi hatte ihn gebeten, auf einen Top-Geldwäscher der Mafia und einem Pappkarton voller Namen, so explosiv wie Dynamit, aufzupassen – doch Shaft verweigerte ihm seine Hilfe. Ein solcher Auftrag wäre Selbstmord. Wenig später kommen bei der Explosion einer Autobombe Anderozzi und der Geldwäscher ums Leben. Jetzt ist es an Shaft, seinen Freund zu rächen und sich selbst zu retten. Denn die Mafia hat die Jagd auf ihn eröffnet. Die Story, die sich dann entwickelt, ist durchaus konventionell. Sie changiert zwischen revenge und manchmal (unfreiwilliger) Humoreske. Ernest Tidyman bringt den Plot nur mit dem Wohlwollen des Lesers zu einem befriedigenden Ende. So weit so gut.

Mike Hammer, black?

Was aber die Shaft-Romane aus der Masse der Hardboiled-Literatur heraushebt, ist ihr Protagonist. Shaft ist ein eigenwilliger Charakter, ausgezeichnet mit den P.I.-typischen Eigenschaften wie Unabhängigkeit, Freiheit und Stolz. Er hat eine klare, unverstellte Sicht auf die Realität, weiß um die Allgegenwart der Korruption in der Gesellschaft und ist unsentimental. Oft wird Shaft als das weiße Pendant zu Mickey Spillanes Mike Hammer charakterisiert, und diese Nähe ist für die Einordnung der politischen Richtung des Autors relevant: Tidyman ist politisch teilweise wirr, homophob und antisemitisch. Er benutzt die Mafia als eine Metapher für das Verbrechen schlechthin und als diffuse Chiffre für eine weltumspannende Verschwörungstheorie. Er spielt mit der Angst der WASPs vor Rassenunruhen und bildet ein Leben der Schwarzen in den Ghettos fern jeder Realität ab. Das muss man nicht alles gut finden und sollte es auch nicht.

Andererseits bricht Shafts schwarze Hautfarbe auch einige der politischen Ressentiments des Autors. Shaft taugt nicht als politischer Kämpfer – nicht gegen Verschwörungstheorien und nicht gegen Diskriminierung und Rassismus. Er ist schwarz, in Harlem aufgewachsen und hatte eine harte Jugend. Seine Freunde kommen von der Straße und oftmals spielen schwarze Gangster oder Radikale eine zentrale Rolle in den Romanen Tidymans. Shaft misstraut den Weißen, aber er weiß auch wenig mit den schwarzen Radikalen und deren politische Ziele anzufangen. Er ist einfach Shaft, und die Hautfarbe macht ihn weder zu einem besseren noch zu einem schlechteren Menschen.

Es ist dieses Selbstbewusstsein, das Shaft zu einer wichtigen Figur seiner Zeit und zum Wegbereiter der Blaxploitation-Welle machte. Dieses pure Sein macht Shaft zu einer besonderen Figur. Er ist die sprichwörtliche Manifestation des Selbstwertgefühls, des Wissens um den eigenen Wert mit dem festen Willen, sich nicht einfach herum stoßen lassen. Er lehnt sich aktiv gegen seine von der Gesellschaft zugedachte Rolle auf und überspringt dabei die politische Emanzipation. Deshalb darf eine Figur wie Shaft auch nicht schwächeln, sich nicht ihren Widersprüchen stellen und eine menschliche Dimension besitzen.

Umso ironischer ist darum das Finale von Shaft und die Geldwäscher. Tidyman verweigert seinem Protagonisten einen ruhmvollen Abgang in einem heldenhaften Kampf gegen die übermächtige, alle Bereiche der Gesellschaft durchwurzelnde Mafia-Krake. Er stirbt – eher zufällig. Er ist zur falschen Zeit am falschen Ort und reagiert zudem falsch. Diese Szene verschafft Shaft einen letzten coolen, stolzen Abgang mit den Worten: „Hey, Mann. Was soll der Scheiß?“ Shaft stirbt so wie er gelebt hat.

Claus Kerkhoff

Ernest Tidyman: Shaft und die Geldwäscher (The Last Shaft, 1975) Roman.
Deutsch von Emanuel Bergmann. Bielefeld: Pendragon 2009. 208 Seiten. 9,90 Euro.