Dinos, Star Wars Rebels und die Berliner Mauer
– Ein Essay von Markus Pohlmeyer.
Sie, liebe Leserin, lieber Leser, blättern einen Comic durch und können auch problemlos folgende Namen identifizieren: Anatotitan oder Micropachycephalosaurus hongtuyanensis? Bei Spinosaurus oder Triceratops dürfte Ihnen das vielleicht schon wesentlich leichter fallen.[1] Es handelt sich um Namen, die im Micky Maus. Spezial: 25 Jahre Mauerfall in unterschiedlichen Kontexten vorkommen. Dieser Comic hat thematische Schwerpunkte wie Dinosaurier, Star Wars und die jüngere deutsche Geschichte. Und das in einer durchaus informativen Präsentation! So wird beispielsweise auf die Verwandtschaft des Tyrannosaurus rex[2] mit Vögeln (Hühnern) hingewiesen.[3] Das Poster zum Mauerfall (im Hintergrund das Brandenburger Tor und Feuerwerk) in der Mitte des Heftes[4] zeigt Donald, wie er einen Stein wegkickt, seine jubelnden Neffen und wie die Panzerknacker Stücke der Mauer klauen und in einen Sack packen. Die Welt der Imagination interferiert hier mit konkreter Geschichte.
Bedingt durch die mediale Hochzeit von Georg Lucas und Walt Disney[5] wird hier nun reichlich Werbung gemacht für die neue Serie Star Wars Rebels (konsequent: mit Hinweis auf die Sendezeiten) und gleichzeitig auf neue LEGO-Modelle verwiesen (vornehmlich aus Das Imperium schlägt zurück) – dazu Meister Yodas wunderbarer Kommentar: „Eine Seite gewählt werden muss.“[6] Yoda spielt hier subtil auf das Problem der Wahlfreiheit und einer autonomen Ethik an, das für die Moderne in neuer Form und richtungsweisend von Kant, Kierkegaard und Schelling reflektiert wurde. Der neue Bösewicht heißt übrigens der Inquisitor, eine Verneigung vor dem ungebrochen imperialen Potential der Institution Kirche.
Das vorliegende Heft ist ein gutes Beispiel für eine postmoderne und selbstreferentielle Konvergenz der Medien[7] aus ökonomischen Strategien heraus, versehen mit bisweilen anspruchsvollen Elementen. Zum Mauerfall werden „ERINNERUNGEN AN DEN FREUDENTAG“ von Politikern abgedruckt, von: P. Tauber, F.-W. Steinmeier, S. Peter und G. Gysi.[8] Das Zitat des Bundespräsidenten Joachim Gauck schließt so: „Und keiner bleibt unberührt, wenn er sieht, wie sich Menschen lachend und weinend in den Armen lagen, als dort, wo die Welt zu Ende schien, die Schlagbäume hochgingen.“[9] Diese Freude spiegelt auch das schon erwähnte Bild in der Heftmitte wider. Beigefügt sind dem Spezialteil auch verschiedene Fotos von der Vereinigung, beigefügt die „DREISTE LÜGE“[10] von W. Ulbricht, „dass niemand die Absicht hätte, eine Mauer zu errichten“[11], beigefügt Berichte über Fluchtversuche; und natürlich dürfen WIR SIND DAS VOLK und GORBI nicht fehlen.[12]
Spannend gemacht der Abschluss des Spezialteiles, der sich fast wie eine Science Fiction-Variante von alternativer Geschichte liest:[13] „STELL DIR VOR … die Mauer würde immer noch stehen. Dann wäre das hier nie geschehen: DEUTSCHLAND OHNE MERKEL UND GAUCK […] EUROPA OHNE GRENZEN […] BIG BROTHER ÜBERALL.“[14] Letzteres stellt eine Extrapolation des DDR-Zensur- und Überwachungsstaates mit den heutigen technischen Möglichkeiten dar. Eine Totalüberwachung (auch aus ökonomischen Gründen) und der gläserne Bürger sind heute schon längst Realität und die damit verbundenen Gefahren für Menschenrechte und Demokratien noch längst nicht in ihrer Dramatik begriffen – und keineswegs nur ein Thema in Diktaturen! Die weiteren Beispiele (deren existentielle Wucht man durchaus kontrovers diskutieren muss), ob durch einen verhinderten Mauerfall bestimmte Hollywood-Hits nicht gedreht worden wären oder ob T. Kroos (Greifswald!!!) 2014 kein Weltmeister geworden wäre, markieren, exemplarisch, ein popkulturelles, postmodernes Patchwork und Nebeneinander von Fakten – als Ausdruck einer radikalen, inflationären Erosion des Wissens- und Bildungsbegriffes:
„Im Kontext eines Bildungsbegriffs, der noch das Ziel des mündigen Subjekts kannte, also etwa bei Wilhelm von Humboldt, ergab sich der Kanon der Fächer und Forschungen aus dem paradigmatischen Gehalt derselben für das allgemeine Verständnis der menschlichen Existenz und seiner Entfaltung – deshalb die Priorität der alten Sprachen und der antiken Kultur. Im Kontext einer globalen Konkurrenzideologie orientieren sich diese Selektionsprozesse des Wissens hingegen an imaginären und realen Wettbewerbsvorteilen.“[15]
Also: ein reales Micky-Maus-Heft als Träger imaginärer, selbstrefferentieller, globalisierter Medialität! Die präsentierten Informationen sind spannend und mit Blick auf den Mauerfall gewiss sehr wichtig (als Ergänzung oder Kompensation des Geschichtsunterrichtsunterrichtes?), aber systematische oder gar kritische Kontexte werden z.B. beim Thema Dinosaurier nicht hergestellt. Natürlich will Mickey Maus keine Fachzeitschrift sein, trotzdem wird eine Illusion von Wissenschaftlichkeit aufgebaut. In der Postmoderne fallen die traditionellen Diskursgrenzen sowohl auseinander als auch ineinander.

Noch ein Blick auf die erste Geschichte des Heftes „Donald Duck. Invasion der Dinosaurier“[16]: Donald erlebt, wie Entenhausen von Dinosauriern okkupiert wird. In Wirklichkeit handelt es sich nur um einen Maskenball. Warum hält Donald diese Vision, diese Fiktion für wahr, für real? In einem Museum hatte er nämlich zuvor für seine Neffen Tick, Trick und Track ein Dinosaurierfragment gekauft. Die Neffen: „Wir könnten dem Knochen DNA entnehmen. Darin ist das ganze … Erbgut des Dinos gespeichert.“[17] Die Neffen wollen das mit ihrem Chemiebaukasten[18] in die Tat umsetzen, um dann Dinosaurier beispielsweise als Haustiere zu verkaufen. R. Mash hat das schon durchgespielt, beispielsweise für Deinonychus: „ Für den sozial verantwortungsbewussten Halter kommt nur eine ganze Herde in Frage. Für Regierungen auf der Suche nach einer ungewöhnlichen Waffe könnte dieses Tier die Antwort sein.“[19] Als Prätext der vorliegenden Geschichte dient die Jurassic Park-Serie mit der für Science Fiction typischen (pseudo)wissenschaftlichen Evidenz einer genetischen Rekonstruktion von Dinosauriern. Aber eine gewisse Nähe zur Paläoontologie ist trotzdem gegeben, die sich ja heute auch modernster Methoden (wie CT) bei der Untersuchung von Fossilien bedient.[20] Während Donald verzweifelt versucht, die Monster einzufangen, sieht der Leser eine Parade von Dinosauriern das Prähistorische Museum von Entenhausen betreten. Hätte Donald genauer hingesehen, wäre ihm aufgefallen, wie klein der Brachiosaurus daherkommt und dass ein aufrechtgehender Triceratops eine Handtasche trägt.[21]
Zwei Nachbemerkungen
Weiß Donald überhaupt, dass er als Ente, d. h. als Vogel, mit dem Tyrannosaurus rex verwandt ist? Und wie es einst die Reformation gab, die Berliner Mauer fiel, so werden auch die Star Wars-Rebellen das düstere galaktische Imperium zu Fall bringen!
Für meine Eltern, die mich immer mit ausreichend Dino-Büchern versorgt haben!
Markus Pohlmeyer lehrt an der Universität Flensburg (Schwerpunkte: Religionsphilosophie; Theologie und Science Fiction).
Cover: Micky Maus. Spezial: 25 Jahre Mauerfall © DISNEY, erscheint bei Egmont Ehapa Media
[1] Anatotitan handelt es sich um einen Hadrosaurier. Bei Micropachycephalosaurus hongtuyanensis ist die fossile Basis relativ schmal; vgl. dazu D. Weishampel u.a.: The Dinosauria, 2. Aufl., University of California Press 2007, 466. Siehe auch M. Pohlmeyer: Tiere zwischen Gottheit und Kitsch – Ein Essay, in: Tiere zwischen Gottheit und Kitsch – Die Sammlung Maud Pohlmeyer. Mitteilungen aus dem Museum für Völkerkunde Hamburg. Neue Folge, Bd. 39, hg. v. W. Köpke – B. Schmelz, Hamburg 2008 (erschienen 2009), 15-29.
[2] Dem Heft beigefügt ist auch ein 21 cm langes Modell eines Tyrannosaurus rex, das nachts leuchtet – ebenso wie einer meiner letzten Gedichtbände, weil da beim Druck etwas schief gegangen sei: einmalig diese Teletubbyschweinchenrosaneonlichtschwertmachtmirangstfarbe.
[3] Walt Disney. Micky Maus. Spezial: 25 Jahre Mauerfall (46/7.11.2014), 50. Vgl. dazu auch: J. Long – P. Schouten: Feathered Dinosaurs. The Origin of Birds, Oxford University Press 2008. Ein wunderbares Bilderbuch mit gefiederten, farbenprächtigen Dinosauriern.
[4] Micky Maus (s. Anm. 3), 34 f.
[5] R. Ludwig weist in: Kant für Anfänger. Die Kritik der reinen Vernunft, 12. Aufl., München 2006, 23 auf Kants Ehekonzept hin: „Als sinnliches Motiv lässt er nur eines gelten: Geld, und nicht Schönheit; Geld halte länger vor als alle Schönheit und Reize und trage zum Lebensglück sehr viel bei.“
[6] Micky Maus (s. Anm. 3), 19.
[7] Das Handbuch Populäre Kultur. Begriffe, Theorien und Diskussionen, hg. v. H.-O. Hügel, Stuttgart 2003, 538 spricht von einem „Produktverbund“.
[8] Micky Maus (s. Anm. 3), 29. Vgl. zum Thema auch D. Henrich: Nach dem Ende der Teilung. Über Identitäten und Intellektualität in Deutschland, Frankfurt am Main 1993.
[9] Micky Maus (s. Anm. 3), 29.
[10] Micky Maus (s. Anm. 3), 31.
[11] Micky Maus (s. Anm. 3), 31.
[12] Micky Maus (s. Anm. 3), 36 f.
[13] Eine andere Variante von Science Fiction in diesem Heft (43-48) ist die Geschichte, wie Goofy durch Zufall seine Mikrowelle in eine Zeitmaschine transformiert.
[14] Micky Maus (s. Anm. 3), 41. Die logischen Anschlüsse der Variationen sind hier etwas unklar.
[15] K. P. Liessmann: Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft, 7. Aufl., München 2012, 147.
[16] Micky Maus (s. Anm. 3), 4-13.
[17] Micky Maus (s. Anm. 3), 5.
[18] Donald wird später diesen Chemiebaukasten als Beweisstück vernichten!
[19] R. Mash: Dinosaurier [nicht nur] für Haus, Hof und Garten, übers. v. D. Zimmer, München 2004, 51.
[20] Vgl. dazu beispielsweise D. Naish: Die faszinierende Entdeckung der Dinosaurier, übers. v. K. Schuler u.a., Darmstadt Stuttgart 2010, 114 f
[21] Vgl. dazu Micky Maus (s. Anm. 3), 9.