Verzweifle nicht an dieser Welt
– Ein Roman über gute Amerikaner und mutige Schweizer. Carl Wilhelm Macke hat ihn gelesen.
„Die Amis“ – das wird im deutschen Alltagsverständnis immer noch mit einem leichten, manchmal auch unüberhörbar negativen Unterton gesagt, wenn von ‚den Amerikanern‘ die Rede ist. Entweder sind ‚die Amis‘ für alle möglichen politischen Schweinereien rund um den Globus verantwortlich: Variante ‚links‘. Oder ‚die Amis‘ zerstören mit ihrem ‚Way of life‘ die über viele Generationen gewachsene traditionelle europäische, genauer deutsche Alltagskultur: Variante ‚rechts‘. Ganz genau kann man zwar nicht das irgendwie Unheimliche und Bedrohliche an den ‚Amis‘ in Worte fassen, aber so ganz Geheuer sind sie vielen Deutschen, vielleicht sogar der Mehrheit, nicht. Viel Unwissen und noch mehr Vorurteile stehen hinter dieser mal zögerlichen, mal aggressiven Distanz zu den ‚Amis‘.
Da erstaunt es nicht, dass zum Beispiel eine Figur wie Varian Fry bei uns immer noch nur wenig bekannt ist. Zwar gibt es in Berlin seit Jahrzehnten bereits in exponierter Lage eine ihm gewidmete Straße, und hin und wieder wird seiner auch in kleinen Ausstellungen über den Widerstand gegen die Nazis gedacht. Aber lebendig ist die Erinnerung an Fry in der deutschen Öffentlichkeit nicht mehr – wenn sie es denn je gewesen ist. Da registriert man mit Freude und großer Neugierde einen neuen Roman, in dem Varian Fry der zentrale Protagonist ist.
Fry, eine kurze Erinnerung ist notwendig, stammte aus einem wohlhabenden Elternhaus in New York. Studierte Kunst- und Politikwissenschaft. Arbeitete als Redakteur bei verschiedenen Magazinen. Nach dem Krieg produzierte er belanglose Filme für das Fernsehen und unterrichtete Latein an einer Schule. Für einen kurzen Abschnitt seines Lebens hatte er aber genau begriffen, was zu tun ist, wenn ein diktatorisches Regime und eine rassistische Ideologie sämtliche humanen Werte zerstört. Man muss dann versuchen, möglichst viele Gegner dieses Regimes zu retten – koste es was es wolle. „Ich verließ Amerika, die Taschen vollgestopft mit den Listen der Namen von Männern und Frauen, die ich retten mußte“ (Varian Fry).
„Auslieferung auf Verlangen“ (Ffm. 1997), sein Bericht über diese vorbildliche Rettungsaktion des europäischen Geistes, ist ein Schlüsseldokument für eine demokratische ‚Leitkultur‘ jenseits aller nationalen oder regionalen Bekenntnisrituale. Die offizielle amerikanische Politik hat jedoch bei diesen ‚antifaschistischen Befreiungsaktionen‘ eine eher blamable Rolle gespielt. In offener oder geheimer Kollaboration mit dem Vichy-Regime haben die US-Behörden versucht, die Aktionen von Fry und dem „Emergency Rescue Comittee“ zu unterbinden oder zu behindern. Nach nur 13 Monaten intensiver Hilfsaktionen wurde Fry durch einen Hinweis der US-Botschaft von der französischen Polizei festgenommen und in die USA abgeschoben.
Literarisches Denkmal
Von dieser Zeit und dem im Stillen handelnden Retter wichtiger Repräsentanten der anti-nazistischen deutschen Kultur handelt der Roman von Eveline Hasler. Fry und seinem Netz an vielen Mithelfern im Marseille zur Zeit des mit Hitler kooperierenden Vichy-Regimes ein literarisches Denkmal zu errichten sind viele Leser zu wünschen. Es gelingt der Autorin, die Sympathie die sie gegenüber den ‚stillen Helfern‘ um Fry empfindet, auf dir Leser des Buches zu übertragen. Wahrscheinlich erreicht sie mit dem Buch auch einen größeren Kreis für Fry zu interessieren, als dieses mit dem einzigen bislang existierenden Buch von Fry selbst verfasst („Auslieferung auf Verlangen“) gelang.
Aber literarisch bewegt sich die Autorin in den engen Grenzen eines etwas konstruiert und hölzern wirkenden Schulbuchs. In die Story um Fry näht sie noch weitere ermutigende Geschichten von Menschen, die sich in dunkelster Zeit vorbildlich verhalten haben, ein. Diese Erinnerung an die andere, die ‚bessere Schweiz‘ ist zwar gut gemeint, aber der Leser wird dadurch eher verwirrt als intellektuell bereichert. Ob man sich mit Menschen identifizieren kann, wenn sie wie in diesem Roman nur in hellem Licht gezeigt werden? Personen tauchen manchmal in Form eines ‚Name Droppings‘ auf, von denen man gerne etwas mehr erfahren hätte. Victor Serge war ja mehr als nur ein „Dada-Künstler“ und Andrè Breton hatte mehr zu bieten als eine „schöne Frau“.
Entlassen aus der Lektüre wird der Leser mit einer Art Chronologie der für den offiziellen Umgang amerikanischer Behörden mit dem Exil alles andere als ehrenvoll ist. „Im Kalten Krieg standen solche Hilfswerke, wie Fry eins geleitet hatte, im Verdacht, mit Spionage und kommunistischer Infiltration zu tun zu haben. Frys Korrespondenz war schon ab 1942 überwacht, und es war eine FBI-Akte über ihn eröffnet worden.“ Varian Fry und das ‚American Emergency Rescue Committees‘ repräsentierten das ‚andere Amerika‘, an dem sich auch das von den Nazis befreite Deutschland orientieren konnte. Dass Evelline Hasler mit ihrem Buch das ‚bessere Amerika‘ und die ‚bessere Schweiz‘ in Erinnerung ruft, ist jedoch uneingeschränkt zu loben. Da wirken dann Einwände gegen die literarische Umsetzung dieser Erinnerung ebenso oberflächlich und banal wie manche unserer Urteile über ‚die Amis‘.
Im Kontext dieses Buches ist auf jeden Fall noch auf einen schmalen Band mit Gedichten von Hans Sahl hinzuweisen: „Die hellen Nächte“ (Weidle Verlag, Bonn, 2012). Gewidmet hat Sahl diese Gedichte Varian Fry, den er genau in jenen Jahren kennenlernte, über die das Buch von Eveline Hasler handelt. „O Leser, der du dieses liest, verzweifle/ nicht an der Welt, die solche Greuel sah … „Die Gedichte werden von ganz ausgezeichneten Texten begleitet, von denen das Gespräch mit Stèphane Hessel über seine Freundschaft mit Varian Fry ganz besonders lesenswert ist. Ermutigend zu wissen, daß es einen Varian Fry gab und einen wie Stèphane Hessel. Dieser schmale, unprätentiös gemachte Band mit den Gedichten von Hans Sahl sollte in Schulen, Postämter, Rathäusern, Supermärkten zu erwerben sein. Und in jeder Buchhandlung sowieso …
Carl Wilhelm Macke
Eveline Hasler: Mit dem letzten Schiff. Der gefährliche Auftrag von Varian Fry
. Nagel & Kimche 2013. 223 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Hans Sahl: Die hellen Nächte: Gedichte aus Frankreich. Weidle Verlag 2012. 98 Seiten. 16,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.