Vom Hören und Zuhören
Stattdessen versucht der Autor ohne jede volkspädagogischen Intentionen zu vermitteln, wie reich beschenkt derjenige wird, der es gelernt hat, gut zuzuhören. Von Carl Wilhelm Macke
Der Buchmarkt wird immer mehr mit Ratgebern für alle Lebenslagen, Krisen, Gebrechen und Unvollkommenheiten überschwemmt. Man kann sie nicht mehr sehen, geschweige denn lesen, jene Diät-, Erfolgs-, Be- und Erziehungs-, Sucht- und Überlebensratgeber, die uns Wellness & Happiness versprechen. Denkt denn niemand an den für die Produktion dieser Bücher abgeholzten Amazonaswald? Leicht könnte man in diese ununterbrochenen Ratgeberfluten auch das Buch von Francesc Torralba über die „Kunst des Zuhörens“ hineinwerfen.
Aber Vorsicht: dieser schmale Band gehört nicht zur üblichen Ex- und Hoppliteratur, die die Regale der Billigantiquariate vollstopfen. Es handelt sich um eine gut geschriebene philosophische Abhandlung über die menschliche Kommunikation und nicht um einen Leitfaden für Paartherapeuten oder Managerschulungen. In sieben Kapiteln führt uns der Autor, Philosoph an der Universität Ramon Llull in Barcelona, ein in die Grundlagen des menschlichen Dialogs, die uns scheinbar so alltäglich und vertraut sind, daß wir gar nicht mehr darüber nachdenken. Einige der Kapitelüberschriften deuten bereits den Inhalt und die Intention des Buches an: „Plädoyer gegen das Geschrei“, „Der andere als Grenze: der Respekt“, „Die Kunst, sich Gehör zu verschaffen“, „Das Drama, nicht angehört zu werden“, „Feingefühl als Frucht des Zuhörens“.
Kinder muß man gelegentlich zum Zuhören und zur Stille ermahnen. Das Einnehmende an diesem Buch ist hingegen das vollkommene Fehlen jedes pädagogischen Tones. Auch registriert man mit Sympathie, dass Torralba jenes penetrante „Lob der Disziplin“, mit dem neo-konservative Autoren uns seit einiger Zeit malträtieren, vollkommen fehlt. Stattdessen versucht der Autor ohne jede volkspädagogischen Intentionen zu vermitteln, wie reich beschenkt derjenige wird, der es gelernt hat, gut zuzuhören. „Wer das Zuhören praktiziert, wird geliebt und damit zu einem liebenswürdigen, in Gesellschaftskreisen begehrten und von sich selbst geschätzten Menschen“. So schreibt man ohne jede reaktionäre und nostalgische Botschaft Bücher, die uns zeigen, was wir verlieren, wenn wir so etwas Selbstverständliches wie das geduldige Zuhören des Anderen nicht mehr praktizieren. In Zeiten medialen Dauergeredes und des grellen Ego-Exhibitionismus auf allen Kanälen und Events hat eine Erinnerung an die Kunst des Zuhörens eine fast schon revolutionäre Kraft.
Carl Wilhelm Macke
Francesc Torralba: Die Kunst des Zuhörens. Aus dem Katalanischen von Theres Moser und Jordi Müller. Beck-Verlag. Muenchen, 2007, 168 Seiten.