Der ‚andere Franz’
Drei linke Intellektuelle suchen einen Heiligen
Man kann dieses Buch auch als einen Beitrag zum wieder viel diskutierten legendären Jahr 1968 lesen. An keiner Stelle wird zwar auf dieses Datum eingegangen und im Mittelpunkt des Buches stehen auch keine Erinnerungen an die ‚Schlacht am Tegeler Weg’, an universitäre Sit-Ins oder irgendwelche revolutionären Kommunen. Zeitlich ist das Buch konzentriert auf das 13. Jahrhundert, das man nur wahrlich nicht in einem Zusammenhang mit den weltweiten Studentenbewegungen Mitte des 20. Jahrhundert bringen kann. Aber der intellektuell-politische Werdegang der drei Autoren ist nicht zu trennen von dem Jahr ‚68, dem heute positiv wie negativ eine so überragende Rolle für die weitere Entwicklung der westdeutschen Nachkriegsdemokratie beigemessen wird. Man kennt die drei Autoren Peter Kammerer, Ekkhart Krippendorf und Wolf Dieter Narr von vielen Veröffentlichungen als ebenso kompetente wie polemische Kritiker des kapitalistischen Systems und der Missstände innerhalb der deutschen Demokratie. Als besondere Freunde des kirchlichen Klerus oder frommer Heiliger ist keiner von ihnen bislang hervorgetreten. Kammerer und Krippendorff sind darüberhinaus exzellente Kenner der italienischen Gesellschaft und ihrer Geschichte. Und Narr hat in den letzten Jahren keine Gelegenheit ausgelassen, die Aushöhlung der Menschen- und Freiheitsrechte auch in unserer angeblich so demokratischen deutschen Gesellschaft zu beklagen. Was in Herrgottsnamen hat also die drei durch und durch laizistischen Autoren bewegt, ein ganzes Buch dem Franz von Assisi zu widmen?
Brüderlich in der Welt bleiben
In den das Buch einleitenden ‚Annäherungen‘ erfährt der staunende Leser einige erste Antworten auf seine neugierigen Fragen. „Die Geschichte und Nach-Geschichte des Franz von Assisi ist eine Geschichte systematischer Verdrängung, Unterdrückung, Zensur und Verfälschung der revolutionären Sprengkraft seines Lebenszeugnisses“. Also wird uns hier nicht ein süsslicher Heiligenbildchen-Franz präsentiert, der allen Kreaturen Gottes wohlgesonnen war, mit den Tieren sprach, gute Menschen um sich scharte und auch sonst ein frommes Leben führte. Es wird vielmehr an eine historische Figur erinnert, deren Radikalität und Subversivität uns heute noch etwas zu sagen hat. Und dann steht da ein Satz in der Einleitung, der eine Tür öffnet zu einer wieder aktuell gewordenen Debatte über die Renaissance der Religion(en) in unseren säkularen Gesellschaften: “ Immer erscheinen die tiefsten Wünsche und Sehnsüchte der Menschen zuerst in religiöser Gestalt…Diese Träume neu und wirklich zu besitzen, ist das Versprechen, das die Moderne nicht eingelöst hat und auch nicht einlösen kann.“ Damit ist das Bild eingerahmt, das die drei Autoren auf den folgenden Seiten vom Franziskus aus Assisi zeichnen. Bei unserer heutigen Suche nach Vorbildern – die Autoren sprechen mit dem Philosophen Karl Jaspers von „massgebenden Menschen“ – zur Orientierung in einer extrem kommerzialisierten und gewalttätigen Welt, kann die Wieder-Erinnerung an den reichen Kaufmannssohn Franz hilfreich sein. Konfrontiert mit einer Welt, in der die Schere von Reichtum und Armut , von Naturausplünderung und Naturbewahrung, von demokratischer Teilnahme und dem Ertragen-Müssen von Diktaturen immer größer, immer schmerzhafter spürbar wird, existiert für Kammerer, Krippendorff und Narr eine klare Alternative: entweder wir akzeptieren diese Welt so wie nun einmal mit ihren zum Himmel schreienden Ungerechtigkeiten ist und richten uns in ihr ein oder wir steigen wie Franz von Assisi aus „dieser“ Geschichte aus, um „brüderlich in der Welt zu bleiben.“ Für die Autoren selber existiert diese Alternative nicht. Ob diese radikale Option für die „Armut, „das heißt sich von verdinglichten Besitztümern soweit irgend möglich zu befreien“ allerdings mehr ist als eine immer wiederholte neutestamentliche Forderung zur Umkehr und Buße, steht sehr dahin. Kammer, Krippendorff und Narr bleiben da letztlich sehr nebulös. „Dem Kern der Botschaft von Franziskus müssten wir aber habituell begreifen, selbst wenn wir ihn nicht christlich leben und lesen können…“
Um diesem überraschenden Buch gerecht zu werden, müßten noch einzelne Abschnitte besonders hervorgehoben werden, etwa die ausführliche und lehrreiche Ikonographie der Franziskus-Basilika in Assisi. Oder die Auseinandersetzung mit dem ganzheitlichen Naturbegriff des Franziskus, den es unter einem Berg von Devotionalien und kitschigen Sonnengesängen wieder zu entdecken gilt. Über das alles existieren auch bereits viele Veröffentlichungen in der nicht mehr überschaubaren Franziskus-Literatur, die aber sehr dominiert wird von kirchlichen Erbauungstraktaten und religiösen Verehrungsdokumenten. Kammerer, Krippendorff und Narr aber kommt das Verdienst zu, mit diesem Buch eine Brücke zu schlagen zwischen dem 13. und dem beginnenden 21. Jahrhundert, zwischen einer nur religiösen Interpretationen des Franz von Assisi und dem heutigen intellektuell-politischen Debatte, in der man auf die Errungenschaften der Aufklärung nicht verzichten will, auch wenn er immer mehr spürt, wie sehr die Moderne in eine Sackgasse geraten ist. Wer aber letztlich der Adressat dieser Franziskus-Erinnerung sein soll, bleibt letztlich unklar. Vermutlich ist es für die klassische Zielgruppe des katholischen Patmos-Verlages zu ‚revolutionär’ und die Leser der anderen, bisher erschienenen Bücher der drei Autoren ist es zu ‚religiös’. Und wer bleibt dann noch als potentieller Leser übrig…?
Carl Wilhelm Macke
Peter Kammerer/ Ekkehart Krippendorff/ Wolf Dieter Narr: Franz von Assisi – Zeitgenosse für eine andere Politik. Patmos-Verlag Duesseldorf, 2008, 178 S., 16,90 Euro, ISBN: 978-3-491-72520-1