Die spöttischen Heuchler
Stellenweise gut – Frédéric Beigbeders Jugendroman.
Wer „39,90“, Frédéric Beigbeders Feldzug gegen die Werbebranche, gelesen hat, kennt ihn schon. Wer nicht, wird ihn kennenlernen: Marc Marronnier, den koksenden Creative-Director, den versnobt-arroganten Erfolgsmenschen, „den Typen, der Sie von Sachen träumen lässt, die Sie nie haben werden: Immerblauer Himmel, nie flaue Frauen, perfektes Glück, photoshop-retuschiert, der heute die Modells castet, von denen Sie morgen einen Ständer kriegen.“ Steht er in „39,90“ bereits mitten im Leben (bzw. am Abgrund des Zynismus), bekommt er im gerade in Deutschland erschienenen „Memoiren eines Sohnes aus schlechtem Hause“ nun eine Jugend zugeschrieben.
Wie sieht die aus, im Paris der Neunziger Jahre? Kultbars, Szenepartys, neureicher Luxus. Mit einer Gruppe von Freunden, die sich die „spöttischen Heuchler“ nennen, zieht Marc Marronnier durch die Nächte. „Bärtige Kunstexperten, verwaiste Papasöhnchen, junge Leute, gierig nach Erfahrungen, Alte, auf der Jagd nach frischem Blut, Mannequins auf der Suche nach Catwalks.“ Während sie den zehnten Cocktail an der fünften Bar des Abends trinken, träumen sie von einem Leben auf Yachten, wo sie mit jungen Filmschauspielerinnen Erdbeer-Daiquiri schlürfen oder einem Dasein in New Yorker Elendsvierteln, wo sie als obdachlose Schriftsteller ein Vermögen machen. Werte vertreten sie keine, weder politische, noch moralische. Und von allen Idealen ist nur das der Täuschung geblieben: Marc Marronnier dichtet sich ein Leben nach seinem Geschmack.
In dieses Leben passt seine Freundin Victoire, die nichts im Kopf hat, „außer wie sie das Geld ihrer Eltern und die Kraft ihrer Jugend verschleudern könnte“, perfekt hinein. Marc und Victoire: ein junges dynamisches Paar, auch wenn ihre Gefühle auf umfassender Simulation basieren. Das klingt nach ausschweifender Dekadenz und einer „verlorenen Generation“, wie man sie aus Hemingways „Fiesta“ oder von F. Scott Fitzgerald kennt. Und das soll es auch: an all die anderen hedonistischen Partygenerationen der Kulturgeschichte erinnern. Was den kurzen Roman an vielen Stellen überfrachtet, zumal Beigbeder stilistisch zu dick aufträgt. So schwankt „Memoiren eines Sohnes…“ von Anfang an zwischen kreativer Originalität und aufdringlicher Effekthascherei.
Erst als sich Marc in Anne verliebt, erkennt er, dass es auf dieser Welt mehr gibt, als den genusssüchtigen Zynismus seines Freundeskreises. Anne bildet einen Gegenpol zur nihilistischen Unverbindlichkeit seines Lebensstils. Doch lässt sie sich nicht mit den üblichen Methoden erobern, die Marc bis zur Meisterschaft beherrscht. Es dauert, bis er das merkt.
Beigbeders Idee, seinen Helden über die Romangrenze fortleben zu lassen, ist nicht neu. Ebenso wenig die, mit der Nähe zwischen Erzähler-Ich und Autor zu spielen. Michel Houellebecq, Christine Angot, Philippe Djian – Biographismus ist in der französischen Gegenwartsliteratur groß in Mode. Bei Beigbeder gerät das Spiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit allerdings zur koketten Selbstdarstellung und strapaziert seinen durch unzählige Aufzählungen und lästige Kalauer ohnehin schon überlasteten Erzählfluss.
So ist „Memoiren eines Sohnes…“ nicht mehr als ein unbedeutender Roman mit einigen brillanten Stellen. Eine Tendenz, die man schon in Beigbeders vieldiskutiertem Bestseller „39,90“ feststellen konnte, der trotz vieler prägnanter Sätze und Szenen insgesamt fragwürdig war. In diesem Punkt ist Beigbeder voll und ganz der Werbetexter, der er zehn Jahre in einer der renommiertesten Werbeagenturen Frankreichs war: der Mann für die prägnante Formel, den einprägsamen Claim, die peppige Überschrift.
Markus Kuhn
Textauszug:
Victoire jedenfalls läutete meinen Abgang ein. Wie schade – sie war schön, groß, hatte Familie, Allüren, ein paar Millionen Pfund Sterling und nichts im Kopf, außer wie sie das Geld ihrer Eltern und die Kraft ihrer Jugend verschleudern könnte. Sie ging jeden Abend aus und stellte keine Fragen, wenn ich später kam als sie. Ihr Vater besaß Wohnungen in allen Metropolen, in London, New York, Banjul, Tokio, Bormes-les-Mimosas. Dabei sind die Häuser der Familie noch nicht mitgezählt. Mit unseren Zweitwohnsitzen hätten wir uns ins Guinness-Buch der Rekorde eintragen lassen können.
Frédéric Beigbeder: Memoiren eines Sohnes aus schlechtem Hause. Rowohlt Verlag, 95 Seiten, 10 Euro.