Geschrieben am 23. Februar 2006 von für Bücher, Litmag

Giuliana Sgrena: Friendly Fire

Friendly Fire

„Blood sells“ – aber diese Chronik des Schreckens nimmt kaum jemand war. Laut einer Statistik der International Federation of Journalists ( IFJ) war das Jahr 2005 so schlimm wie nie zuvor für Journalisten. 2005 haben 150 Journalisten und Medienmitarbeiter in Ausübung ihres Berufes den Tod gefunden. Laut dem Bericht hat sich der „Trend zu gezielten Ermordungen von unliebsamen Berichterstattern im vergangenen Jahr verstärkt. 89 Journalisten sind Kriminellen, politischen Extremisten oder paramilitärischen Gruppen zum Opfer gefallen.“

Nach wie vor gefährlichstes Land für Journalisten ist der Irak, wo 35 Journalisten, in der Mehrzahl Einheimische, die für internationale Medien arbeiteten, getötet wurden. In Südostasien führen die Philippinen die Todesliste an. In dieser Jahresübersicht sind Journalistinnen wie zum Beispiel Giuliana Sgrena noch nicht einmal aufgeführt. Sie ist ja nicht im Rahmen ihrer Berufsausübung getötet worden, sondern ‚nur’ entführt worden.
Mögen sie selbst und mit ihr tausende von Berufskolleginnen und – kollegen monatelang um ihr Leben gebangt haben. Wenn nur noch Blut, Mord und Totschlag zählt, dann ist eine Entführung nicht mehr der Rede wert. Im Irak allemal, wo Entführungen scheinbar zu einem ‚Big Business’ geworden sind.
Fast täglich erreichen uns Meldungen von Entführungen, da kommt es auf einen Fall auch nicht mehr an. Man registriert diese Gewaltakte bei uns nur noch, wenn deren Opfer deutsche Staatsbürger sind. Opfer anderer Nationalität nimmt man vielleicht für den Augenblick einer Nachrichtenmeldung zur Kenntnis, aber dann werden sie schnell vergessen. Die Entführung der italienischen Journalistin Giuliana Sgrene in den Anfangsmonaten des Jahres 2005 wurde in ihrem Heimatland Italien mit ganz großer Aufmerksamkeit verfolgt. Es gab mehrere Demonstrationen von bis zu hunderttausend Teilnehmern, die ihre Befreiung forderten. Da Giuliana Sgrena auch für die „ZEIT“ schrieb, fand ihre Entführung auch in Deutschland ein gewisses Echo, das aber sofort nach der Befreiung verstummte. Das Bemerkenswerte an den Aufzeichnungen von Giuliana Sgrena ist ihr Versuch, die Entführung – soweit das einem unmittelbar Beteiligten überhaupt möglich ist – mit journalistischer Professionalität zu schildern. So erfahren wir nicht nur etwas von den Gefühlen einer Geisel, die mit ihrem Tod rechnen muss, sondern auch viele Informationen über den materiellen wie geistigen Zustand eines Landes, das seit Jahren schon im Mittelpunkt weltpolitischer Aufmerksamkeit liegt.

Die Autorin hat die amerikanische Intervention von Anfang an kritisiert, weiß aber auch, wie zerstritten die verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Inneren des Landes sind. Sie kritisiert auch heftig die Irak-Politik ihres Heimatlandes Italien, aber sie nimmt auch zur Kenntnis, dass sie den italienischen Sicherheitsdiensten ihre Befreiung verdankt. Atemlos liest man, wie Giuliana Sgrena die Umstände ihrer dramatischen und für den Sicherheitsbeamten Nicola Calipari auch tragisch verlaufenden Befreiungsaktion schildert. „Sein Körper lastet immer schwerer auf mir, und als es mir gelingt, ihn zu bewegen, höre ich ein Röcheln. Er stirbt, er ist tot! Nein! Der Mann, der mich befreit hat, ist tot und er ist gestorben, um mich zu beschützen.“

Giuliana Sgrena empfindet großen Dank für das aufopferungsvolle Handeln ihres Retters, aber einen Helden nennt sie ihn nicht. Das überlässt die Kriegsgegnerin kommentarlos denjenigen Politikern in ihrem Heimatland, die Helden gebrauchen, um ihre Zustimmung zu dem Einsatz italienischer Soldaten und Geheimdienste in den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg auch noch zu ‚veredeln’. Der größte Dank den die befreite Journalistin ihrem Befreier Nicola Calipari erstatten kann, wäre eine Aufklärung der Umstände, in denen der Sicherheitsbeamter von amerikanischen Soldaten in einem ‚friendly fire’ erschossen wurde.

„Werden wir je eine Antwort erhalten? Jedenfalls dürfen wir nicht aufhören, die Wahrheit zu suchen“. Alle, die die Realität des Krieges im Irak mit allen seinen blutigen und moralischen Folgen verdrängen oder leugnen wollen, sollten, nein, müssen dieses Buch lesen. Für Journalisten sollte es ab sofort als Pflichtlektüre gelten.

Carl Wilhelm Macke

Giuliana Sgrena: Friendly Fire. Als Geisel zwischen den Fronten. Aus dem Italienischen von Brigitte Lindecke und Julia Sailer, Berlin, 2006, Ullstein Verlag, 205 S.