Geschrieben am 26. Januar 2009 von für Bücher, Litmag

Hanif Kureishi: Das sag ich dir

Der Stadtneurotiker

Petra Vesper ist von Hanif Kureishis Roman, dem unkonventionellen Erzählstil und den schrägen Charakteren im multikulturellen London begeistert – auch wenn, oder gerade weil die Lektüre große Konzentration erfordert.

„Ich bin Psychoanalytiker. Mit anderen Worten: ein Deuter von Seelen und Zeichen.“ Jamal wird fürs Zuhören bezahlt. Beobachten ist sein Job. Und darin ist er anscheinend richtig gut. Jamal, Sohn eines Pakistani und einer Engländerin, ist inzwischen in London zu so etwas wie einer kleinen Berühmtheit geworden: Die Praxis läuft gut – sogar einige Prominente legen sich auf seine Couch – und auch seine Bücher verkaufen sich erfolgreich. Seine „Währung“ sind Geheimnisse: „Ich lebe davon, mit ihnen zu handeln.“ Dass er selber seit vielen Jahren ein dunkles Geheimnis mit sich herumträgt, ahnen weder seine Patienten noch seine Freunde: Jamal ist in jungen Jahren schuldig am Tod eines Menschen geworden.

Dr. Jamal Khan ist Ich-Erzähler und die zentrale Figur in Hanif Kureishis neuem Roman Das sag ich dir. Aus seiner Perspektive entfaltet Kureishi – selbst als Sohn eines Pakistani und einer Britin in England geboren – ein wahres Kaleidoskop an einzigartigen Figuren und ihren Geschichten, Geheimnissen, Wünschen und Sehnsüchten. An dieser Stelle auch nur den Versuch unternehmen zu wollen, eine Schneise durch dieses Geflecht zu schlagen, hieße, sich am Ende heillos zu verfransen. Beispielhaft sei hier nur Jamals bester Freund Henry genannt, ein exaltierter Theaterregisseur, der sich im fortgeschrittenen Alter noch einmal neu verliebt und die Freuden eines ausschweifenden Sexuallebens entdeckt – ausgerechnet mit Miriam, Jamals „durchgeknallter“ Schwester, deren üppiger Körper mit Tätowierungen und Piercings geschmückt ist und die wie eine Glucke über ihre Kinder wacht. „Sie hatte … fünf Kinder von drei Männern. Oder waren es drei Kinder von fünf Männern? Ich war nicht der Einzige, der den Überblick verloren hatte.“ Gemeinsam entdecken die beiden die Vorzüge von Swinger-Clubs, Viagra und Fesselspielen. Jamal empfindet das Verhältnis von Henry und Miriam zwar fast als „einen Inzest“, verfolgt ihr Treiben aber mit sichtlichem Vergnügen.

Temporeiche Hommage an eine pulsierende Großstadt

Kureishi-Leser wissen, dass stringentes Erzählen nicht immer seine Sache ist. Und ähnlich wie sich ein Psychoanalytiker in vielen Gesprächen allmählich den „Geheimnissen“ seiner Patienten nähert, so mäandert auch Kureishis Erzählen zwischen den einzelnen Figuren entlang und springt zwischen den einzelnen Zeitebenen – vom London der 60er bis zur Gegenwart – hin und her. So erinnert Das sag ich dir tatsächlich bisweilen an den eher assoziativen Stil einer mündlichen Erzählung. Der Roman ist kein Buch zum „Nebenbeilesen“. Der Leser muss aufpassen, angesichts der Fülle der Figuren und ihrer Geschichten nicht den Überblick zu verlieren. Doch Kureishi versteckt Andeutungen und Anknüpfungspunkte, die den Leser – wenn er sie entdeckt – durch den Roman lotsen. Stein für Stein setzt sich das Mosaik schließlich zusammen.

Dass Kureishis Hauptfigur Jamal Psychoanalytiker ist, hat nicht nur dramaturgische Gründe, sondern ist auch auf einer Meta-Ebene von Bedeutung. Immer wieder wird deutlich, dass Kureishi deutliche Parallelen zwischen Psychoanalyse und literarischem Schreiben zieht: Ich klopfe „die Unterseiten von Geschichten ab: Phantasien, Wünsche, Träume, Albträume – die Welt unter der Welt, die wahren Worte unter den falschen … ich begebe mich an Orte, die die Sprache nicht erreicht oder vor denen sie haltmacht – das Unbenennbare …“ Für beide – Autor und Psychologe – ist Sprache das Instrument, mit dem sie ihre Profession ausüben. Und so wie der Psychoanalytiker versucht, die Geheimnisse seiner Patienten zu entschlüsseln, so deckt der Autor Kureishi ebenfalls Zug um Zug die Abgründe seines Figurenarsenals auf: Begehren, Geheimnisse, Liebe, Sex, Lust, Freude.

1990 wurde Kureishi durch seinen Roman Der Buddha aus der Vorstadt mit einem Schlag international bekannt. Seither durchzieht das Thema des multikulturellen London wie ein roter Faden sein Schreiben und auch sein aktueller Roman ist nicht zuletzt das Portrait seiner Heimatstadt über mehrere Dekaden hinweg – von den wilden 60ern bis zu den Anschlägen in der Underground. Pulsierend wie die Großstadt London selbst ist auch diese Hommage voller Tempo und Dynamik.

Petra Vesper

Hanif Kureishi: Das sag ich dir. Roman. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag 2008. 512 Seiten. 19,90 Euro.