Geschrieben am 13. September 2008 von für Bücher, Crimemag

Hannelore Cayre: Das Meisterstück

Der Meister-Flegel

Hannelore Cayre kennt sie alle. Die korrupten Anwälte und die unverbesserlichen Schwerverbrecher. Dass sie immer aneinander rasseln, aber auch bestens miteinander auskommen können, beweist sie in ihrem neuesten „Meisterstück“.
Es erfreut sich daran Jörg von Bilavsky

Einen muss es immer geben. Einen, der die Mörder, Zuhälter und Diebe vor der blinden Justitia verteidigt. Einen wie den Pariser „Lumpenadvokaten“ Christoph Leibowitz. Einen, der sich für keinen noch so miesen Mandanten zu schade ist. Einen, der mit seinen Fällen immer wieder auf die Schnauze fällt, am Ende wieder aufsteht und sich den nächsten Schwerverbrecher anlacht. So lässt sie es auch in ihrem zweiten „roman noir“ wieder geschehen, die schriftstellernde Strafverteidigerin Hannelore Cayre. Auf ebenso sympathische wie empathische Art.

„Das Meisterstück“ heißt der Roman und ein Meisterstück ist er. Nicht weil hier unlösbare Verbrechen gelöst würden. Oder weil Leibowitz etwa ausgebuffter Anwalt und begnadeter Detektiv in einer Person wäre. Sondern, weil Cayre –ebenso witzig wie gnadenlos– den von Intrigen und Seilschaften verstrickten Justizapparat durchleuchtet. Sich um „political correctness“ ebenso wenig schert wie ihr etwa gleichaltriger Antiheld. Das hat ihr unter Kollegen bislang nur wenige, aber unter Krimifans umso mehr Freunde beschert. Weil sie die Verhältnisse in den Gerichtssälen und der Banlieue aus eigener Erfahrung kennt und sie als ehemalige Filmemacherin auch in atmosphärisch dichte Porträts und Geschichten zu verpacken weiß.

Kunst & Blessuren

Ob sich auch Kunstliebhaber für ihren neuesten Roman begeistern können, nur weil sich hier alles um den Raub und die Rückgabe von sieben Meisterwerken der modernen Malerei dreht, bleibt abzuwarten. Schließlich will uns Cayre nicht in die Geheimnisse der Kunstgeschichte, sondern in die geheime Kunst der Strafverteidigung, des Scheiterns und der sexuellen Befriedigung einführen. Wenn also der strafanfällige Leibowitz einen Kunstdieb nur damit rauspauken kann, indem er die gestohlenen Meisterwerke von einem anderen Dieb in Sicherheit bringen lässt, um sie dem nur scheinbar ehrbaren Besitzer wieder zukommen zu lassen, dann ist das schon bemerkenswert. Dass dieses Unterfangen zunächst zum Scheitern verurteilt ist, weil Leibowitz zu naiv und der von ihm angeheuerte Verbrecher einfach von Natur aus kriminell ist, war vielleicht schon zu erwarten. Überraschend hingegen bleibt, wie er es am Ende doch noch schafft, Meisterdieb und Meisterwerke aufzustöbern. Allerdings wieder mit erheblichen Blessuren für Leib, Seele und Konto.

Aber genau die Verletzung von Tabus und Protagonisten machen Leibowitz und seine Schöpferin so sympathisch und irgendwie doch glaubwürdig. Mag es mitunter auch überzogen erscheinen, dass Meister-Flegel Leibowitz die ihm aus Studientagen sexuell bestens bekannte Richterin hinterrücks wieder rumkriegt und er mehr aus Zufall als per Einfall entdeckt, dass die gestohlenen Meisterwerke vor gut 60 Jahren schon einmal gestohlen wurden, passt doch irgendwie alles bestens zusammen. Die blühende Phantasie überzeugt mitunter mehr als die dürre Wirklichkeit. Aber lassen wir uns von der bitteren Komik Hannelore Cayres nicht täuschen. Sie lässt uns nicht nur zum intellektuellen Amüsement in die Abgründe von Recht und Gerechtigkeit blicken. Sie legt mit ihren abgebrühten Geschichten auch Finger auf Wunden, die Sarkozy und Co. nicht sehen oder mit brutalen Mitteln heilen wollen. Mit ihrem kunstvollen „Meisterstück“ leistet sie denn auch mindestens ebenso gute Aufklärungsarbeit wie knüppelharte Enthüllungstorys. Vor allem eine, bei der man sich es aussuchen kann, ob man lieber lachen, weinen oder toben möchte.

Jörg von Bilavsky

Hannelore Cayre: Das Meisterstück (Toiles de maître, 2005) Roman. Deutsch von Rudolf Schmitt. Unionsverlag metro 2008. 160 Seiten. 14,90 Euro.