Mitreißender Gedankenstrom
Steinfests Bücher tragen schon etwas länger nicht mehr das Etikett „Kriminalroman“. Nein, sie werden vom Verlag, vielleicht auch auf Wunsch des Autors auf dem Cover, als Romane präsentiert. Doch weder das eine noch das andere Signet treffen das Genre, in dem sich des Autors philosophierende Schreibe bewegt. Jörg von Bilavsky schert sich nicht um Schubladen.
Steinfest ist im Grunde ein verkappter Essayist im Geiste eines Montaigne. Geistreich und gewitzt springt er von einem Sujet zum anderen, beleuchtet sie mal aus der Sicht seiner Protagonisten, mal aus dem Blickwinkel des allwissenden Erzählers, des Öfteren wohl auch seiner ganz persönlichen Perspektive. Hinter dem Essayisten versteckt sich ein heimlicher Kulturkritiker. Egal ob es sich um Mode, Essen, Architektur, Musik, Literatur, Sport oder Technik handelt, Steinfest hat zu allem und jedem eine Meinung, ein Urteil. Fast scheint es so, als ob der Romancier Tag für Tag die unterschiedlichsten Gedanken sammelt und niederschreibt und daraus dann Plot und die Protagonisten entwickeln lässt. Nach der Konstruktion klassischer Kriminalromane steht ihm jedenfalls nicht der Sinn. Schon gar nicht in seinem neuen Opus, das zwischen Crime und Science Fiction pendelt, aber letztlich wieder in einen mitreißenden Gedankenstrom mündet.
Nach einem guten Dutzend Steinfest-Büchern wird es niemand mehr wundern, dass Pornodarsteller Lorenz Mohn ein Handarbeitsgeschäft eröffnet, um sich von der Last der künstlichen Lust zu befreien. Dass er dafür weder das nötige Kleingeld noch das nötige Fachwissen besitzt, tut der Logik und Handlung keinen Abbruch. Worauf es ankommt, ist die Bekanntschaft mit der außerirdisch anmutenden Claire Montbard. Sie gibt ihm einen zinslosen Kredit und verlangt nicht mehr als die restlose Rückzahlung im Jahre 2015. Sollte er dann dazu nicht in der Lage sein, drohe ihm ein mysteriöser, nicht näher definierter Auftrag. Schon nach rund 50 Seiten darf man sicher sein, dass er diese Mission 300 Seiten später wird erfüllen müssen. Auf Leben und Tod, versteht sich.
Porno, Picasso, Pluto…
Doch bis dahin ist es ein weiter Weg, auf dem zwischenzeitlich unter Mordverdacht gerät, weil in seinem neuen Laden der alte Ladenbesitzer tot aufgefunden wird. Und nicht nur der liegt dort herum, sondern auch ein zunächst undefinierbares Gestein. Ob es wie der Täter nicht von dieser Welt ist, klärt sich schon bald. Freilich sind die sich damit eröffnenden interplanetaren Probleme nicht gelöst, sondern beginnen erst. Vor allem für einen außerirdischen Agenten, der den Auftrag hat, ein Urzeitfossil und einen Picasso zu klauen, um den Planeten Pluto vor einer Vogelplage zu retten. Aber den zieht es nach seinem Raubzug nicht wieder in die unendlichen Weiten, sondern hält es auf Mutter Erde, wo er glücklich und zufrieden alt werden möchte.
Wieso sollte es aber abtrünnigen Agenten aus dem All anders ergehen, als denen auf der Erde. Strafe muss sein, und so kreuzen sich 2015 ganz „zufällig“ die Lebenswege des Ex-Pornostars und des Ex-Spions. Eine exklusive wie explosive Mischung, die kein Happy End ergibt. So viel sei verraten über einen Roman, der keiner ist und auch keiner sein will. So sieht es wohl auch Steinfest selbst, wenn er auf Seite 99 über den Fortgang der Handlung sinniert: „Aber dies ist nun mal kein Roman. Es geschieht, was geschehen muß, und niemand kann daran etwas ändern.“ Höchstens der Autor selbst, aber auch der lässt sich und seine Gedanken lieber treiben, um am Ende das Schicksal walten zu lassen. Und das so kulturkritisch wie möglich.
Jörg von Bilavsky
Heinrich Steinfest: Gewitter über Pluto. Roman. München: Piper Verlag, 2009. 432 Seiten. 19,95 Euro.
| Heinrich Steinfest im Krimilexikon.
| Hörproben auf Literaturport.de