Das Beste aus zwei Jahrzehnten
– Am Donnerstag, dem 28. November 2013, wird im Plenarsaal der Berliner Akademie der Künste die Autobiografie „Im Schwanenhals“ von Helga M. Novak vorgestellt. Es lesen die Autorenkollegen Karin Kiwus, Wulf Kirsten, Michael Lentz und Gerd Loschütz. Beginn der Veranstaltung ist 20 Uhr. Frank Göhre über den dritten autobiografische Band der 1935 in Berlin-Köpenick geborenen und nach längeren Aufenthalten in Island, Italien, Jugoslawien, Portugal und Polen jetzt wieder in Brandenburg lebenden Schriftstellerin.
Er beginnt mit dem Eingeständnis einer Lüge und endet mit der Frage: „Wovor habe ich eigentlich solche Angst?“ Dazwischen liegen konfliktreiche und umtriebige Jahre. Helga M. Novak erzählt von ihrem Journalistikstudium an der Universität Leipzig, vom ihrem Leiden am Regime und der immer neuen Lust, sich und die Welt zu erkunden: „ … lange schwarze Haare, Pony, die Augen schwarz umrandet: Juliette Greco. Sie steckte in einem geraden schwarzen Mantel, darunter trug sie einen schwarzen Rollkragenpullover. So wollte ich auch aussehen, so wollte ich auch in einer Kneipe am Tresen stehen, und nur so wollte ich die Zigarette halten und das volle Glas.“
Sie hat eine Liebe mit einem isländischen Studenten, folgt ihm in seine Heimat und wird in der DDR zur „Republikflüchtigen“ erklärt. In der Ferne notiert sie: „Ich muss mir natürlich ganz genau überlegen, was ich tue, damit ich nicht hier Vernünftiges abbreche – dort wieder anfange und wieder scheitere.“ Doch genau so kommt es. Von der Liebe enttäuscht und zudem schwanger kehrt sie nach Leipzig zurück, wird „zur Bewährung in der Produktion“ zwangsverpflichtet, kann sich aber ebenso wenig einfügen wie zuvor: „Meine Neugier, mein Wissensdrang, mein Bedürfnis nach Aufklärung [stießen] an staatliche Grenzen. Das beleidigte, verletzte mich. Meine Gutwilligkeit zerstob.“
„Eine beachtenswerte Variante nicht-realistischen Schreibens über die Realität“
Nachdem sie ihr Studium wieder aufgenommen hat, wird sie kurz darauf als unbelehrbar „gegen den Staatsapparat Opponierende“ erneut exmatrikuliert und aus der DDR ausgewiesen. Sie geht wieder nach Island, arbeitet in einer Fischfabrik und schreibt Gedichte. Mit ihnen debütiert sie im Luchterhand Verlag, „damals – neun Jahre nach dem dortigen Debüt von Günter Grass – ein Entreebillett in die Literatur der Bundesrepublik, insbesondere die Gruppe 47.“ (Hannes Schwenger im Tagesspiegel). Und in der Tat macht Helga M. Novak sich schnell einen Namen. Sie schreibt kurze Texte über den Alltag der so genannten kleinen Leute, über ihre Abhängigkeiten und ihr Streben nach einem anderen, besseren Leben. Sie ist dabei präziser und sprachlich radikaler als beispielsweise Günther Wallraff in seinen Sozialreportagen. „Gelungen ist ihr eine beachtenswerte Variante nicht-realistischen Schreibens über die Realität“, war seinerzeit in einer „Spiegel“ -Rezension zu lesen.
Dankenswerterweise hat der Schöffling & Co Verlag neben den Gedichtbänden und den autobiografischen Romanen auch diese Prosastücke neu veröffentlicht. Von der Autorin ausgewählt und zusammengestellt enthält „Aufenthalt in einem irren Haus“ sozusagen das Beste aus zwei Jahrzehnten – Geschichten, die ihren Lebensweg markieren, kreuz und quer durch Europa, von Ost nach West, von Nord nach Süd: „Mir fehlten die Fähigkeiten, mich sesshaft zu machen und mich gesellschaftlichen Normen und Maßregeln zu unterwerfen.“
Davon erzählt sie in dem nun offenbar letzten Band ihrer Autobiografie, die aufgrund ihrer Krankheit über einen langen Zeitraum entstand, angereichert mit Brief- und Tagebuchauszügen und behördlichen Dokumenten. Es ist das Selbstporträt einer eigenständigen Frau, einer großen Autorin, die immer wieder neu zu entdecken ist.
Frank Göhre
Helga M. Novak: Im Schwanenhals. 352 Seiten. 21,95 Euro. eBook 16,99 Euro. Foto Novak: © Menzel / Deutsches Literaturarchiv Marbach.