Hinaus, ins Fremde!
„Willkommen woanders“ ist das Motto des frisch gegründeten „Corso-Verlags“, der in seinen Publikationen von der Lust zu reisen und zu lesen erzählt. Carl Wilhelm Macke ist Horst Günther „Hinaus, ins Freie“ gefolgt.
Schon wieder ein Reisebuch? Man muss nur flüchtig in diesem schmalen Band blättern, um sofort zu bemerken, dass es nicht diesen Erwartungen entspricht. Es handelt sich eben nicht um eines der üblichen, jedes Jahr in Massen auf den Markt geworfenen Bücher über Reisen in nahe oder ferne Gegenden. Jedes Fleckchen auf dem Globus ist doch schon mit mindestens zwei, drei Hochglanzbänden gewürdigt worden. Den Himalaya rauf und runter, quer durch die Wüste Gobi und wieder zurück, Patagonien mit dem Rad, ohne Rad, im Camperbus oder zu Fuß, die Nächte in San Francisco, die Wintertage am Südpol usw. usw. Das kennt man doch schon alles – zumindest zwischen zwei Buchdeckeln. Was kann es da schon noch Neues geben?!
Aber, gemach, in dem Band „Hinaus ins Freie“ von Horst Günther geht es ja gar nicht um die aktuellen Highlights des Ferntourismus oder irgendwelche Südseeträume. Träume spielen vielleicht schon eine Rolle, Sehnsüchte auch, aber der Autor stellt mit seinem Essay das Reisen an sich in den Mittelpunkt des Nachdenkens. Es geht hier um das Reisen als eine Form, die Welt, das Fremde, das Unbekannte zu entdecken. Oder etwas genauer, es geht um die Idee der Reise wie sie einmal in einer Zeit formuliert worden ist, die es so heute schon lange nicht mehr gibt. Begriffe wie ‚Pauschalreisen’, Massentourismus’, oder ‚Reiseagenturen’ kommen in diesem Buch überhaupt nicht vor. Das nimmt man mit Freuden zur Kenntnis, aber es gibt dem Buch auch einen etwas snobistischen Anstrich. Wer kann es sich schon leisten, die Fremde, die Welt so frei – auch von finanziellen Einschränkungen – zu erkunden, wie es der Autor scheinbar immer getan hat. Diese Bedenken gegen das Buch sind berechtigt, aber sie können die Faszination die von ihm ausgeht, nicht mindern.
Erstklassige Abbildungen
Mit diesem Buch wird eine außergewöhnliche, in der Aufmachung vielleicht auch etwas elitäre Buchedition begonnen, die sich dem Reisen als eine sehnsuchtsvoll gewünschte Unterbrechung des immer gleichen Alltags widmen will. „Willkommen woanders“ wie es im Titel der gesamten Reihe des neu gegründeten ‚Corso-Verlags’ heißt … An ausgewählten klassischen Reiseberichten schildert der Autor wie und warum sich Literaten und Maler aufgemacht haben, unbekannte Ecken der Welt zu erkunden. Die Liste der zitierten Künstler ist lang und sie ist sehr prominent: Paul Klee, August Macke, William Turner, Montaigne, Hermann Melville, Proust, natürlich Homer und Goethe.
„Wenn es eine gelungene Reise war, freut man sich auch wieder, für eine Weile nach Hause zu kommen. Unterwegs löst sich das Starre, die Gedanken stoßen sich nicht stets an den gleichen Wänden und Zäunen. Es setzt sich alles in Bewegung, Gegensätze vermitteln sich und gewinnen an dynamischer Form“.
Das Schönste aber an dem Buch sind die üppig und in großer Zahl präsentierten Bilder, Zeichnungen, Gemälde, Photographien, an denen man sich einfach nicht satt sehen kann. Die Reproduktionsqualität ist erstklassig. Die in den laufenden Text eingestreuten Klassikerzitate sind klug ausgewählt – allerdings manchmal quälend klein gedruckt. Alles an dem Buch verführt dazu ‚hinaus ins Freie‘ zu wollen. Nichts wie weg und dann aber auch wiederkommen. In die nächstgelegene Buchhandlung gehen und sich weitere Bände dieser Reihe besorgen: Pasolini und Martin Mosebach über Rom, Martin Luther über die Lektionen der Straße, Aby Warburg über italienische Städte.
Die Ferne ist das, von Mitteleuropa aus gesehen noch nicht. Aber wenigstens in dem Buch von Günther ist schon mal angedeutet, wohin die Reisen auch gehen können. Zu den Freundschaftsinseln, zum Berg Sinai, in den Brasilianischen Urwald. Überall hin, nur nicht hier bleiben …
Carl Wilhelm Macke
Horst Günther: Hinaus ins Freie. Von der Lust, mit Büchern zu reisen. Hamburg: Corso Verlag 2010. 96 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. 18,90 Euro.
Zu einer Leseprobe des Buches (mit Abbildungen): PDF