Geschrieben am 6. März 2010 von für Bücher, Crimemag

J. M. Calder: Wer keine Gnade kennt

Mord als Therapie

Über Schuld und Sühne kann man beliebig oft neu verhandeln. Das geht mal gut, mal weniger. Manchmal könnte man es aber auch lassen. Joachim Feldmann hat so einen Fall bei seinen Streifzügen durch die überbordende Produktion gefunden.

Mit gewichtigen Zitaten von Voltaire bis W. H. Auden hat das unter dem Pseudonym J. M. Calder schreibende australische Autorenduo John Clanchy und Mark Henshaw seinen bereits 1997 im Original erschienenen Thriller If God Sleeps versehen, dessen deutsche Übersetzung nun unter dem reißerischen Titel Wer keine Gnade kennt auf Käufer wartet. Es geht um nichts Geringeres als um die alte Frage von Schuld und Sühne. Doch große Themen sind keine Garantie für große Literatur. Und im vorliegenden Fall gelingt es den bemühten Verfassern noch nicht einmal, den Gerechtigkeitsdiskurs in einen halbwegs spannenden Krimi zu überführen.

Ab in die Selbsthilfegruppe

In einer ungenannten amerikanischen Stadt werden drei ehemalige Strafgefangene jeweils kurz nach ihrer vorzeitigen Haftentlassung umgebracht. Die Männer haben sich allesamt besonders abscheulicher Verbrechen schuldig gemacht, sonst haben sie nichts gemeinsam. Doch die Mordwaffe ist dieselbe. Während Lieutenant Solomon Glass, eine charismatische Ermittlerfigur, deren Persönlichkeit wie auf dem Reißbrett entworfen wirkt, noch im Dunkeln tappt, bekommen wir Leser des Rätsels Lösung schon nach wenigen Kapiteln serviert. Die Täter gehören einer Selbsthilfegruppe für die Angehörigen der Opfer von Gewaltverbrechen an.

Aus therapeutischen Gründen (und damit man ihnen nicht so rasch auf die Spur kommt), werden die Morde nie von den direkt Betroffenen verübt. Dafür müssen die Täter im Gruppengespräch detailliert berichten, wie sie die von der Justiz zu sanft behandelten Übeltäter zur Strecke gebracht haben. Dass irgendwann auch ein Richter wegen seiner milden Urteile dran glauben muss, ist da fast zwangsläufig. Für Glass und sein Team bedeutet dieser letzte Mord allerdings, dass sie ihre Fahndungsanstrengungen verdoppeln müssen.

Das zu beobachten ist für den informierten Leser ebenso enervierend wie langweilig. Zumal er sich die einzige offene Frage, wer nämlich die selbst ernannten Richter und Henker wissen lässt, wann ein Straftäter frühzeitig aus der Haft entlassen wird, längst selbst beantworten kann.

Clanchy und Henshaw haben ihrem Helden Solomon Glass einige Jahre später einen zweiten Auftritt gegönnt. Der Nachfolger And Hope to Die erschien bereits im vergangenen Jahr in deutscher Übersetzung (Ich töte, was Du liebst) und wurde an dieser Stelle von Nadja Israel zwar nicht gelobt, aber als „im glauserschen Sinne fuselspannend“ beschrieben. Für Wer keine Gnade kennt wäre selbst dieses zweischneidige Prädikat eine unverdiente Schmeichelei.

Joachim Feldmann

J. M. Calder: Wer keine Gnade kennt (If God Sleeps, 1997). Thriller.
Aus dem Englischen von Anja Schünemann.
Reinbek: Rowohlt 2010. 381 Seiten. 8,95 Euro.

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