Ehrlich währt am längsten
Jakob Arjouni legt einen famosen Schelmenroman hin. Inklusive tragikomischem Happyend. Jörg von Blivasky war begeistert.
Sind Sie schon einmal auf einen Trickbetrüger reingefallen? Wenn ja, dann werden sie sich gewiss noch an seinen Charme, seine Unbeholfenheit oder seine Überredungskünste erinnern. Und an das taube Gefühl, dass diese Begegnung in ihrem Kopf hinterlassen hat. Und natürlich an die lähmende Wut, nachdem sie ihr Portemonnaie oder ihren Cashmere-Mantel schließlich vermisst haben. All diese Erinnerungen werden wieder wach, wenn sie auf „Eddy“ stoßen. Nur sind sie diesmal gänzlich ungefährdet. Denn im neuesten Roman von Jakob Arjouni sind sie nur Zeuge raffinierter Tricks. Vielleicht werden sie sogar ein wenig Mitleid empfinden für diesen sympathischen Gauner. So wird es zumindest all denen ergehen, die einem solch gerissenen Typen noch nie begegnet sind. Am Ende dieser Geschichte sind wir aber dennoch alle Opfer. Und zwar der verrückten Einfälle von Eddy und Jakob.
Eddy ist ein Bauernfänger der Extraklasse. Dank seiner hervorragenden Menschenkenntnis und seiner Schlagfertigkeit weiß er nahezu jede Situation zu meistern und damit jeden einigermaßen wohlhabenden Bürger auszunehmen. Nur einmal, da bekommt er es mit einem saudummen Zufall zu tun, die Lage wie auch sein Opfer entgleiten ihm im wahrsten Sinne des Worte. Als er nämlich Horst König in seinem Treppenhaus begegnet, dem Hassobjekt Nummer Eins in Berlin. Einem Heuschreckenkapitalisten, der hier zufällig seine Tochter treffen möchte und den Eddy dabei ebenfalls ganz zufällig zu Fall bringt. Mit ungeahnten Folgen für beide Seiten.
Denkzettel für die höheren Mächte
War Eddys Treiben als Straßenmusiker und Trickbetrüger für den Normalleser bis dahin schon ziemlich turbulent, überschlagen sich jetzt die Ereignisse. Mit Müh und Not beginnt er die unglückliche Begegnung mit unglücklichem Ausgang vor aller Welt zu vertuschen, obwohl ihn niemand mit dem meistgehassten Mann der Hauptstadt in Verbindung bringt. Aber der „heilige Eddy“ wäre nicht heilig, würde ihn nicht doch noch das schlechte Gewissen plagen. Doch bevor ihn das unfreiwillig erwachte Unrechtsbewusstsein in die Arme von Königs Tochter treibt und er alles aufzuklären bereit ist, blicken wir in die Seele eines Kleinkriminellen und einer Stadt, in der Gut und Böse, Schein und Sein dichter beieinander liegen als anderswo. Hier bekommen nicht nur orientierungslose Wirtschaftskapitäne eins auf die Mütze, sondern auch der schlitzohrige Senat und die schamlose Klatschpresse. Das sind Mächte, gegen die weder Eddy noch Otto Normalverbraucher anstinken können, aber denen man doch gerne mal einen Denkzettel verpassen würde.
Jakob Arjouni verteilt ihn stellvertretend für seine Leser. Mit ironischem Witz und feinem Humor, treffenden Vergleichen und scharfen Seitenhieben. So wie man es sich von einem klassischen Schelmenroman wünscht. Vielleicht können wir deshalb dem geläuterten, aber letztlich doch gerissenen Eddy auch nicht böse sein. Denn ehrlich währt am längsten, auch wenn diese Einsicht einer abenteuerlichen tour de force bedarf.
Jörg von Blivasky
Jakob Arjouni: Der heilige Eddy. Roman. Zürich Diogenes Verlag 2009. 256 Seiten. 18,90 Euro.