Geschrieben am 13. März 2004 von für Bücher, Litmag

Jamie ONeill: Im Meer, zwei Jungen.

Wilde’s, zerrissenes Irland

Wenn ein irischer Autor seinen Roman At Swim, two Boys nennt, so kann er sich der Aufmerksamkeit vieler gewiss sein. So weckte dieser Roman bei unserem letzten Irland-Aufenthalt bereits unser Interesse – aber 700 Seiten in der Originalsprache, das braucht – seien wir ehrlich – schon ein bisschen mehr Zeit als uns so bleibt. Nun liegt der Roman auf Deutsch vor und der routinierte Übersetzer Hans-Christian Oeser hat es vermieden, auch im deutschen Titel die Nähe zu Flann O’Brien zu suchen. Und diese Entscheidung ist richtig, denn Freunde der Cruiskeen Lawn werden in diesem 700 Seiten umfassenden Roman wenig finden, was an das Werk des großen irischen Humoristen erinnert. Mit dem englischen Originaltitel im Ohr näherte man sich diesem Buch von einem völlig falschen Winkel her.

Nichtsdestotrotz hat Jamie O’Neill mit diesem Roman ein außerordentliches Stück irischer Literatur geschaffen. In der Geschichte zweier Jungen, die sich schwören, zum Osterfest 1916 einen kargen Felsen in der Dubliner Bucht zu erschwimmen und dort die irische Fahne zu hissen, spiegelt sich die irische Geschichte jener Zeit. Es ist mehr als eine bloße Freundschaft zwischen den beiden, es ist Liebe, die sie antreibt, die sie verwirrt und die im katholisch geprägten Umfeld für Probleme sorgt. So deutet sich schnell der – neben der irischen Geschichtete – weitere Schwerpunkt des Romans an: Die Homosexualität. Schon vor den Jungen merkt der Leser, dass auch der Ordensbruder, der die Jungen unterrichtet, vor unkeuschen Gedanken nicht gefeit ist. Doch unkeusche und revolutionäre Gedanken liegen im Irland der (vorletzten) Jahrhundertwende eng beieinander. Als einer der Protagonisten seine Neigungen andeutet, wird er gefragt: „…willst du mir etwa sagen, du bist einer jener Unsäglichen vom Schlage Oscar Wildes?“ „Falls du damit meinst, dass ich Ire bin, lautet die Antwort ja“ – ist die ebenso prägnante wie provokante Entgegnung.

Den Inhalt des Romans mit seinen zahlreichen Nebensträngen hier auch nur annähernd wiedergeben zu wollen, das hieße, sich komplett zu verirren. O’Neill lässt in seinem Roman das alte Irland auferstehen, indem er sich eine Handvoll Charaktere herausgreift und diese vor dem historischen Hintergrund agieren lässt. Die politische Spannung der Zeit wird spürbar und ihre menschlichen Opfer werden jeder Verklärung entrissen, der ein Irland-Urlauber so leicht auf den Leim geht.

Doch es ist vor allem die Sprache, die an diesem Mammut-Roman überzeugt. Mal ist es der Ton des Bänkelsängers, der den Leser einlullt, dann wieder rauer Gassenjargon, der durch die Hinterhöfe schallt. Es ist eine reine Freude, O’Neills Prosa zu folgen. Doch obwohl ich Oeser als Übersetzer extrem schätze (immerhin hat er McCabes Schlächterburschen oder auch The Deas School kongenial übertragen), so bereue ich es in diesem Moment doch, die Originalausgabe damals nicht gekauft zu haben – so mancher Satz lässt doch nur ahnen, wie er im Original geklungen haben dürfte.

Was allerdings all jenen, die nicht so vertraut sind mit irischer Geschichte und die auch gerade weder Lexikon noch Reiseführer greifbar haben, eine kleine Hilfe gewesen wäre, das ist ein kleiner Anhang, in dem zumindest ein paar historische Personen und die verschiedenen politischen Gruppierungen hätten vorgestellt werden können.

Frank Schorneck

Jamie O’Neill: Im Meer, zwei Jungen. Deutsch von Hans-Christian Oeser. Luchterhand, 702 Seiten, 25 Euro. ISBN: 3-630-87139-9