Schwein haben
Aufwachsen in Absurdistan – so kommt einem das Debüt von Jana Scheerer „Mein Vater, sein Schwein und ich“ vor. Locker erzählt wird von absurden Familienkonflikten, die erst beim zweiten Lesen ihre wahre Problematik preisgeben.
Der vielleicht ungewöhnlichste Lebenslauf der jüngeren deutschsprachigen Literatur wird uns von der 1978 in Bochum geborenen Jana Scheerer aufgetischt. „Roman“ steht auf dem Umschlag, womit uns der Verlag einen ebenso großen Bären aufbindet, wie ihn der Vater der Erzählerin am Tag ihrer Geburt gejagt haben will. Siebzehn Kapitel weist der vermeintliche Roman auf, siebzehn locker erzählte Geschichten aus dem Leben einer nicht ganz alltäglichen Familie. Wir begegnen der Erzählerin in verschiedenen Phasen ihres Lebens, geraten in Familienkonflikte, die sich fröhlich absurd präsentieren und erst auf den zweiten Blick wahre Probleme offenbaren. So ist der Vater bei der Geburt seiner Tochter nicht anwesend, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, einen Grizzlybären zu fangen – was natürlich eine weitaus mutigere Aufgabe als das Kinderkriegen ist. In „Als ich neun war, bekamen wir einen Rentner“ hat der Vater einen Fehler in seiner Steuererklärung gemacht – wer kann ahnen, dass man mit dem Feld „Rentnerversorgung“ nicht die eigenen Ansprüche sichert, sondern fortan einen Rentner zu versorgen hat? Und wegen des Mietschweins, das der Vater eines Tages anschleppt, als die Tochter zwölf ist, kommt es beinahe zur Spaltung der Familie. Wenn der Vater spurlos verschwindet, dann war er nicht Zigaretten holen, sondern hat eine Nonne nach Rom zur Papstaudienz gefahren. Für Literaturliebhaber besonders empfehlenswert ist allerdings das Kapitel, in dem die Tochter zum dreizehnten Geburtstag nicht etwa nur ein Buch, sondern Günter Grass persönlich geschenkt bekommt. „Wir waren uns nicht sicher, ob du vielleicht lieber Martin Walser gehabt hättest“, zweifelt die Mutter, nachdem der Nobelpreisträger aus der Geschenkfolie ausgepackt ist. Bei den folgenden Kindergeburtstagsspielen kommt es jedoch recht schnell zum Eklat zwischen dem Vater und Grass über eine Rechtschreibfrage. Beim Flaschendrehen und der „Reise nach Jerusalem“ wird die Stimmung nicht wirklich friedlicher.
Und so geht es munter weiter, man folgt der Zwanzigjährigen gemeinsam mit Samson aus der Sesamstraße an die Uni, schmunzelt über die Versuche des Vaters, einen Fanclub (selbstverständlich für sich) zu gründen und über so manches mehr. Jana Scheerer ist mit diesem Buch ein locker-leicht-beschwingtes Debüt gelungen, das Lust auf mehr weckt. Und mit dem schweinchenrosanen Lesebändchen hat der Verlag seiner Autorin ein liebenswertes Detail geschenkt, das auch den Leser erfreut.
Frank Schorneck
Jana Scheerer: Mein Vater, sein Schwein und ich. Schöffling & Co. 2004. Gebunden. 148 Seiten. 17,90 Euro. ISBN: 3-89561-350-9