Geschrieben am 17. Oktober 2005 von für Bücher, Crimemag

Jason Starr: Hard Feelings

Freier Fall

Wie in „Top Job“ oder die „Die letzte Wette“ richtet Jason Starr auch in seinem vierten Roman „Hard Feelings“ sein Augenmerk auf scheiternde Existenzen. Minutiös beschreibt er den nicht aufzuhaltenden Fall eines New Yorker Top-Verkäufers.

„Die Menschen in Manhattan schaffen sich dauernd selbst ihre Probleme, die sie davon abhalten, sich mit erschreckenderen, unlösbaren Problemen der Welt zu befassen.“ Dieser Satz aus Woody Allens filmischer Hommage an den bekanntesten Stadtteil New Yorks ist auch nach 25 Jahren noch wahr. In gewisser Weise trifft er nämlich auch auf die Figuren in Jason Starrs Roman „Hard Feelings“ zu. In diesem Großstadtkrimi feilt die karrieregeile New Yorker Mittelschicht nur noch an ihren Selbstverwirklichungsplänen. Geld, Sex und Fast Food wiegen da mehr als alle Katastrophen auf diesem Globus – denn die Wohlstands- und Risikogesellschaft frisst ihre Kinder erbarmungslos auf, wenn sie sich nicht an die Spielregeln halten. Eiserne Disziplin, rücksichtslose Hartnäckigkeit und perfekte Umgangsformen sind die charakterlichen Voraussetzungen für den sozialen Aufstieg. Und nur wenn es im Beruf läuft, klappt es auch im Privatleben. So sieht es zumindest der Erzähler und Protagonist Richard Segal, der als Vertreter für Computer-Netzwerke schon seit Monaten keinen „Abschluss“ mehr gemacht hat und dem nun die Geschäftsführung im Nacken sitzt. Als seine Frau auf der Karriereleiter schließlich an ihm vorbeizieht, bahnt sich zu allem Unglück auch noch eine handfeste Ehekrise an.

Gewissensbisse, Verfolgungswahn & Selbstbetrug

Doch all dies wäre nur halb so schlimm, wenn ihm nicht die Vergangenheit böse mitspielte. Traumatische Erinnerungen werden wach, als er eines Tages den ehemaligen Nachbarjungen Michael Rudnick auf der Straße wiedererkennt, der ihn damals sexuell missbraucht hat. Verständlicherweise will er sich für die Verletzungen rächen, um sein seelisches Gleichgewicht wieder zu erlangen. Die denkbar schlechteste Strategie, wie sich bald herausstellt. Gewissenbisse, Verfolgungswahn und Selbstbetrug sind von nun an seine ständigen Begleiter. Dass ihm das Glück kurzfristig noch einmal hold ist, macht die Sache nur noch dramatischer. Segal bekommt kein Bein mehr auf die Erde. Der freie Fall ist vorprogrammiert. „I felt comfortable getting into the heads of loners, losers and psychopaths“, bekannte Starr einmal in einem Interview. Dieses Einfühlungsvermögen macht ihn aber noch lange nicht zu einem Parteigänger der Einsamen, Verlierer und Psychopathen. Denn er kennt kein Mitleid mit seinem geplagten Protagonisten. Immer wenn sich Segal wieder auf der Straße der Sieger wähnt, lässt er den Jammer-Yuppie eiskalt auflaufen. Segal ist ein Ausbund an charakterlichen Schwächen, der in seiner Verzweifelung nicht davor zurückschreckt, einen verärgerten Geschäftskunden mit Tränen bei der Stange zu halten. Ob er ein Opfer des Wirtschaftssystems ist oder einfach kein Rückgrat besitzt, lässt der studierte Ökonom und schonungslose Beobachter des American way of life in seinem Roman allerdings offen.

Scheinheilige Argumente

Eher unterschwellig weist Starr auf den Widerspruch zwischen beruflichem Erfolg und privatem Glück im Kapitalismus hin. Wenn Segals Chef bemerkt: „Dies ist nur ein Job – Sie sollen auch ein Privatleben haben. Ich bitte meine Angestellten bloß darum, sich hundertprozentig für diese Firma einzusetzen, solange sie hier im Hause sind“, weiß der berufstätige Leser, mit welch scheinheiligen Argumenten hier operiert wird. Segal erkennt sie nicht und zerbricht an den Anforderungen der Leistungsgesellschaft, die auch am Ende des Buches kein Erbarmen mit ihm hat. Starrs Vorliebe für gescheiterte Existenzen macht ihn noch lange nicht zu einem Vertreter der hard-boiled-school oder dem Roman Noir. Die – wenn überhaupt vorhandene – Kritik an den sozialen Verhältnissen verschwindet allzu sehr hinter den oberflächlichen und durchaus authentisch klingenden Sprech- und Interaktionsweisen seiner Mittelstandsmarionetten. Starr beleuchtet die Schattenseiten der amerikanischen Wohlstandsgesellschaft und genau das macht seinen spannend konstruierten Thriller realistisch.

Jörg von Bilavsky

Jason Starr: Hard Feelings. Roman. Aus dem Amerikanischen von Bernhard Robben. Diogenes, Zürich, 2005. TB, 298 S., 8,90 Euro. ISBN: 3-257-23478-3