Geschrieben am 17. Oktober 2009 von für Bücher, Crimemag

Jimmy Breslin: Die gute Ratte

Die Mafia als Opfer ihres eigenen Mythos

Schon mit der Verfilmung seines Buches The Gang That Couldn’t Shoot Straight, 1972, mit dem jungen Robert de Niro, hatte Jimmy Breslin in Deutschland kein Glück. Der deutsche Titel war tatsächlich Spaghetti Killer. Und jetzt gibt es wieder ein Breslin-Buch auf Deutsch zu kaufen. Das nächste Desaster, meint Joachim Feldmann …

Jimmy Breslin, der am heutigen Samstag 79 Jahre alt wird, ist eine Legende des amerikanischen Journalismus. Das weiß ich allerdings erst, seit ich in Vorbereitung dieser Besprechung die bekannten Quellen des weltweiten Netzes zurate zog, denn im Gegensatz zu Autoren wie Tom Wolfe, Gay Talese und Hunter S. Thompson, mit denen er seit Beginn der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts einen subjektiven Reportagestil kultivierte, der später das Label „new journalism“ verpasst bekommen sollte, ist Breslin hierzulande weitgehend unbekannt geblieben. Und es ist zu befürchten, dass die deutsche Ausgabe seines Abgesangs auf die amerikanische Mafia, Die gute Ratte, diesen bedauerlichen Umstand nicht ändern wird. Doch dazu später.

Ich, ich, ich …

Berühmt wurde Jimmy Breslin durch seinen Bericht von der Bestattung John F. Kennedys, bei dem er seine Aufmerksamkeit vor allem auf den Totengräber richtete. Damit ist schon ein Wesensmerkmal des „neuen Journalismus“ genannt, nämlich die Konzentration auf die Geschichten abseits der großen Schlagzeilen. Auch in Die gute Ratte widmet Breslin ein bewegendes Kapitel der Biografie eines Menschen, der mit den Mafiosi, von denen das Buch handelt, nichts zu tun hatte, aber aufgrund einer Verwechslung von ihnen umgebracht wurde. Wir erfahren, dass der junge Nicky Guido gut zu seiner Mutter war, dass er immer für einen Vierteldollar Softeis kaufte und dass er gerne auf seinem Fahrrad durchs Viertel fuhr. Wir lesen auch, dass er später Feuerwehrmann wurde. Und dass er „als der Held, der er immer sein wollte“, starb. Nun erregt heute, da sich schon Volontäre in der Produktion alltagsgesättigter Prosa üben, ein solcher Reportagestil kein Aufsehen mehr, doch Respekt nötigt das Können eines Altmeisters wie Jimmy Breslin seinen Lesern noch immer ab.

Mit dem zweiten Markenzeichen des „new journalism“ ist es allerdings nicht so einfach. Wer auch immer irgendwann entschieden hat, dass der Reporter seine eigene Person mindestens so wichtig nehmen dürfe wie die Geschichte selbst, hat eine Menge zu verantworten. Vielleicht ist es ja albern, das Personalpronomen „ich“ in journalistischen Texten krampfhaft vermeiden zu wollen – Ihr Rezensent tut’s ja auch nicht –, doch eine sparsame Verwendung wäre vor allem für Autoren, die nicht unter einem Minderwertigkeitskomplex leiden, ratsam. Und Jimmy Breslins Ego ist riesengroß. Eine Kostprobe gefällig: „Später, als David Berkowitz (der als ‚Son of Sam’ berüchtigte Serienkiller. JF) mir einen Brief schrieb, fragte man mich, warum dieser gefährliche Wahnsinnige ausgerechnet mir schrieb. Ich rief aus: ‚Wem sonst sollte er schreiben?’“

Die Mafia ist fertig. Oder?

Aber um Berkowitz geht es in Die gute Ratte nur am Rande. Im Mittelpunkt stehen die Aussagen des Gangsters Burton Kaplan, der als Kronzeuge auftrat und so dafür sorgte, dass zwei Mafia-Killer (und hauptberufliche Polizisten) zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Das Buch besteht konsequenterweise aus Gerichtsprotokollen und den Geschichten, die Breslin, der seit den 60er Jahren enge, aber nicht ungefährliche Kontakte zu den Protagonisten des organisierten Verbrechens unterhält, selbst beisteuern kann.

Die zentrale These des Autors lautet: Die Mafia ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie ist zum Opfer ihrer eigenen Mythen geworden. Nicht nur, dass viele früher lukrative, weil illegale Geschäftszweige wie das Glücksspiel erfolgreich von anderen, zum Beispiel vom amerikanischen Staat, übernommen worden seien; die Tatsache, dass ein führendes Mafiamitglied die Omertá, das Schweigegebot, missachtet, zeige, dass es mit der in zahllosen Filmen und Büchern romantisierten Verbrecherorganisation zu Ende geht. Mit dem Verbrechen an sich natürlich nicht, daran lässt Breslin keinen Zweifel.

The Good Rat erschien im vergangenen Jahr in den USA und erhielt teilweise begeisterte Kritiken. „Breslin“, schrieb Ron Rosenbaum im Internet-Magazin „Slate“, „ist der größte Mafia-Autor in den USA.“ Einen seiner fein abgestimmten Sätze zu lesen, sei ein reines Vergnügen. Wie schön wäre es, ließe sich solches auch von der deutschen Ausgabe behaupten. Doch leider scheint die Übersetzerin von Breslins Stil überfordert gewesen zu sein und hat sich offenbar im Zweifelsfall entschieden, einfach die Syntax des Originals beizubehalten. Das liest sich dann zum Beispiel so: „Trotz John Gottis gewaltiger Zerstörungswut konnte niemand der Mafia deswegen etwas anhaben. Er brach die altehrwürdige New Yorker Rushhour-Regel, als er Paul Castellano genau währenddessen töten ließ. Das war dreist, und Gotti liebte das.“

Man ahnt es schon. Wer wissen will, warum Jimmy Breslin in seiner Heimat hoch geschätzt wird (wenn auch nicht von seinem Kollegen Gay Talese, der ihn für einen Grobian hält, der diesen unschönen Charakterzug in ein Markenzeichen verwandelt habe), sollte in die Originalausgabe investieren. Dann versteht er vielleicht am Ende, warum von der Mafia und ihrem angeblichen Ehrenkodex nicht mehr viel übrig ist. Und findet in diesem Zusammenhang auch heraus, was es mit der geheimnisvollen „New Yorker Rushhour-Regel“ auf sich hat.

Joachim Feldmann

Jimmy Breslin: Die gute Ratte. (The Good Rat, 2008) Sachbuch.
Deutsch von Bärbel Knill.
Weinheim: Wiley-VCH Verlag 2009. 255 Seiten. 17,95 Euro.