Denkwürdigkeiten aus der Provinz
Dieser so undogmatische und oft so erfrischend lakonische alemannische Menschenfreund hat uns auch nach zwei Jahrhunderten immer noch etwas zu sagen. Carl Wilhelm Macke zum 250. Geburtstag von Johann Peter Hebel.
Seine Eingangssätze sind einfach genial. Zum Beispiel dieser: „In der Türkei, wo es bisweilen etwas ungerade hergehen soll, trieb ein reicher und vornehmer Mann einen Armen, der ihn um eine Wohltat anflehte, mit Scheltworten und Schlägen von sich ab, und als er ihn nicht mehr erreichen konnte, warf er ihn noch mit einem Stein.“
Und dann schildert Johann Peter Hebel verschiedene „Denkwürdigkeiten aus dem Morgenlande“. Die Türkei, geschweige denn das Morgenland, hat Hebel nie gesehen und trotzdem findet er eine Formulierung, die ahnen lässt, wie es da weit von seiner badischen Heimat so hergeht, nämlich „bisweilen etwas ungerade“. Wenig später dann schränkt er sein Urteil über die Türkei etwas ein. „Es ist doch nicht alles so uneben, was die Morgenländer sagen und tun.“ Die Leser des ‚Rheinischen Hausfreundes‘, die ebenfalls nichts vom Morgenland, ja wahrscheinlich nicht einmal vom Land jenseits von Stuttgart, Karlsruhe oder Basel wissen, fühlen sich aber sofort ernst genommen vom Schreiber der Zeilen.
Oder nehmen wir eine der vielleicht bekanntesten Kalendergeschichten, in der Hebel das unverhoffte Wiedersehen eines in Schweden bei einem Bergwerksunglück verschütteten Bergmanns mit seiner „jungen hübschen Braut“ schildert. Das ganz private, intime Unglück eines Paares wird da eingebettet in den Ablauf großer Weltgeschichte. „Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der Siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben …“ Goethe und Jean Paul, Kafka und Benjamin, Bloch und Brecht, Canetti und Sebald haben schon Recht, wenn sie dem alemannischen Erzähler, Lehrer und Mundartlyriker Johann Peter Hebel Worte großer Bewunderung gewidmet haben.
Man muss nur sehen und lesen, wie aufklärerisch und weltzugewandt Hebel Begriffe wie ‚Heimat‘ und ‚Provinz‘ in seinem Werk verwendet, um ihren ganzen volksverdummenden, barbarischen Missbrauch durch die Nazis sofort zu durchschauen. Wer immer und immer wieder die Kalendergeschichten von Hebel liest, wird vollkommen immun gegen jede Form von Volks- und Heimattümelei, jede Form von dumpfer provinzieller Enge, ohne dabei jedoch über ‚Heimat‘ und ‚Provinz‘ arrogant die Nase zu rümpfen. „Diese Stücke heute zu lesen, das braucht auch nicht nur wie Lust an altem schönen bäurischem Gerät zu sein; zu Heben muß nicht zurückgegangen wenden, er besucht uns selber.“ (Ernst Bloch)
Weltoffene Heimat
Dass jetzt, anlässlich seines 250. Geburtstages überall und in seiner alemannischen Heimat ganz besonders wieder an ihn, den klugen Aufklärer, diskreten Humanisten und menschenfreundlichen Theologen erinnert wird, nimmt man mit Freude zur Kenntnis. Viele Details aus seinem Leben waren bislang zum Beispiel wenig bekannt. Heide Helwig hat mit ihrer großen Biografie hier eine große Lücke geschlossen. Dass die Autorin sich nicht ganz stur an die biografische Chronologie hält, sondern vielmehr versucht, ihren regionalen wie zeitgeschichtlichen Rahmen weiträumig – manchmal auch etwas zu detailliert – auszumalen, erweist sich für den „geneigten Leser“ (eine bei Hebel immer wiederkehrende Formel) als sehr hilfreich.
Dem Dialekt- und Naturverständnis Hebels sind umfangreiche Abschnitte gewidmet. Man erfährt viel über seine Tätigkeiten als Theologe und Ministerialrat, seine große Verehrung von Napoleon, sein Verhältnis zum Hause Baden. Auch über das „gesellige Abendleben“ des Frauen gegenüber immer zaudernden, fast gehemmten Junggesellen Hebel erfahren wir einiges, aber nie ins voyeurhafte Herumspionieren abrutschend.
Hebel war uns ja schon durch den Ton seiner Kalendergeschichten fast wie ein weiser, lebensfreundlicher Großvater vertraut. Durch die Biografie von Heide Helwig ist er uns noch näher gerückt. Seine Geschichten lesend kann man Kind bleiben, ohne auf die Weisheit des Alters zu verzichten. Man bleibt zu Hause – zur Zeiten Hebels hätte man gesagt „hinter dem Ofen“ – aber vergisst die ‚unebene Welt‘ da draußen nicht. Mit heute wieder gepflegter Nostalgie und Liebe zum behaglichem Biedermeier in unruhigen Krisenzeiten hat das alles nichts zu tun.
Dieser so undogmatische und oft so erfrischend lakonische alemannische Menschenfreund hat uns auch nach zwei Jahrhunderten immer noch etwas zu sagen. „Freundlich ist es, von Hebel zuerst an die Hand genommen zu werden.“ (Ernst Bloch) Und nach der Lektüre der großen Helwig-Biografie, nach dem Lesen der vielen in diesen Tagen veröffentlichten Geburtstagshommagen, können wir uns jetzt wieder beim „Schöpplein im Adler“ den weisen Weltgeschichten des Johann Peter Hebel widmen.
Carl Wilhelm Macke
Heide Helwig: Johann Peter Hebel. Biographie.
Hanser Verlag 2010. 367 Seiten. 24,90 Euro.