Biker-Herzen
Rocker sind ja eigentlich ganz harte Burschen. Doch sie können auch anders. Haben sie einen erst mal in ihr Herz geschlossen. Jörg Juretzka kann davon tolldreiste Geschichten erzählen. Und Jörg von Bilavsky freut sich über die Neuauflage von „Der Willy ist weg“.
Der Verlag hätte keinen besseren Zeitpunkt wählen können, um Juretzkas Biker-Krimi „Der Willy ist weg“ wieder auf den Markt zu werfen. Jetzt, wo sich erst kürzlich im Ruhrpott Rocker wieder an die Gurgel gegangen sind. Da schauert es einen schon, mit welcher Brutalität und Besessenheit zugeschlagen und zugestochen wird. Hinter diese Kulissen möchte und kann man gar nicht schauen. Außer mit den Augen und der Fantasie Jörg Juretzkas. Er hat mit den Mülheimer Stormfuckers eine ebenso gewalttätige wie gutherzige Gang ins Leben gerufen, die in der deutschen Krimilandschaft ihresgleichen sucht. Gleiches gilt natürlich für ihr privat ermittelndes und vorbestraftes Mitglied Kristof Kryszinski.
Über seine unkonventionellen Arbeitsmethoden und seine abgefahrenen Sprüche ist in allen Rezensionen und Porträts bereits zur Genüge gesprochen worden. Dass er trotz aller Schlitzohrigkeit und schlimmer Vorahnungen immer wieder in alle möglichen Fallen und Fettnäpfchen tritt, ist hinlänglich bekannt. Auch dass er vom Alkohol und anderen Drogen ebenso wenig lassen kann wie vom weiblichen Geschlecht, ist kein Geheimnis. Dabei reißt er sich für seine Kumpels buchstäblich immer wieder den Hintern auf. Zuletzt bei seinem halsbrecherischen Ausflug ins sonnige Spanien, wo er bei der Suche nach seinem Freund Schisser auf ebenso durchgeknallte wie knallharte Hippies stieß („Alles total groovy hier“, 2009).
McDagobert
Wie uns der Titel des bereits vor acht Jahren erschienenen und bald darauf preisgekrönten Krimis einflüstert, fahndet Kryszinski diesmal nach „Willy“. Einem Kumpel, der die Stormfuckers in seiner ererbten Villa beherbergt und verköstigt. Ausgestattet mit viel Geld, einer unstillbaren Libido und einer unglaublichen Naivität. Also ein liebenswerter Kerl, den die Biker irgendwie ins Herz geschlossen haben und der ihre Beschützerinstinkte weckt, als er plötzlich verschwindet. Juretzka hätte daraus eine einfache Erpresser-Geschichte stricken können. Doch damit begnügt er sich nicht. Er strickt für seinen ständig überforderten Privatdetektiv noch eine zweite, die vermutlich nichts mit Willy, aber umso mehr mit der Fast-Food-Kette „McDagobert“ tun hat. Die ist nämlich vor Eröffnung ihrer neuesten Filiale mehrfach Ziel dreister Anschläge und Geldforderungen. Was beide Verbrechen miteinander zu tun haben könnten, bleibt wohlweislich bis zum Epilog unklar.
Klar hingegen ist Juretzkas Absicht, der Welt der Normalos immer wieder eine Welt der Freaks, der Ausgegrenzten und sich selbst Ausgrenzenden entgegenzustellen. Willys Entführung und die Attentate auf das Schnellrestaurant bilden nur das dramaturgische Gerüst, hinter dem der Ruhrpott-Schriftsteller seine schrägen Charakter, deren Lebensweise und seine politisch inkorrekten Statements zur Lage der Nation aufbaut. Indem er das durchaus brutale Bikerleben immer wieder grotesk überzeichnet und auch ihre Gegner, rechtsradikale Banden und die Mafia, satirisch auflaufen lässt, nimmt er den Lesern nicht nur die Furcht vor diesen Parallelwelten. Sondern verleiht diesen kriminellen Kosmen selbst eine gewisse Normalität, über die man lachen und manchmal sogar grübeln kann.
Darum verwundert es nicht, dass die harten Burschen nach der Entführung Willys auf einmal weich werden und die abenteuerlichsten und unüberlegtesten Aktionen anstellen, um eine Million Mark Lösegeld locker zu machen. Dass Kryszinski bei seinen illegalen Recherchen und Extratouren soziale wesentlich bedrohlichere Pläne aufdeckt und vereitelt, passt in das Bild vom Privatdetektiv, der am Rande der Gesellschaft agiert, um ihren Kern zu schützen. Es lebe und ermittle Kristof nach seiner Façon. Dann wird nicht nur er, dann werden auch die Leser glücklich.
Jörg von Bilavsky
Jörg Juretzka: Der Willy ist weg. Roman. Berlin: Rotbuch Verlag 2009. 320 Seiten. 16,90 Euro.