Geschrieben am 5. Dezember 2017 von für Bücher, Litmag

Foer, Thuras, Morton: Atlas Obscura

Atlas Obscura von Joshua Foer

Orte des Staunens

Alf Mayer über den „Atlas Obscura“

Ziegelsteinschwer, Lesebändchen, schönes Papier, mehr als 600 Farbfotos und Illustrationen, die Seiten übersichtlich und sehr lesbar gestaltet, die Informationen griffig und knackig, jede Seite eine neue Überraschung – kurzum ein Traum von einem Buch, das ist der „Atlas Obscura. Eine Entdeckungsreise zu den verborgenen Wundern der Welt“. Und das Irre ist, dieses Buch geht nie zu Ende. Da gibt es immer noch viel, viel mehr. Derzeit 12.500 Orte verzeichnet die interaktive Variante dieses Buches auf einer Weltkarte im Internet.

Tatsächlich ist dies denn auch mehr als ein Buch. Es das ungewöhnlichste Reisebuch der Welt, es ist ein Projekt. Und Jede und Jeder kann mitarbeiten. Die 700 Einträge des Buches sind so etwas wie die Visitenkarte. Eine Einladung zum Staunen. Zum Reisen. Zum Mitmachen.

Verlassene Städte, verrückte Städte, makabre Museen …

„Als wir Atlas Obscura 2009 ins Leben riefen, wollten wir ein Verzeichnis all der Orte, Menschen und Dinge zusammenstellen, die uns zum Staunen bringen“, schreiben die Gründer Joshua Foer und Dylan Thuras in ihrem Vorwort. Über die Jahre schlossen sich Tausende von Menschen aus aller Welt dem Projekt an, fügten dem Atlas neue Orte hinzu. Viele dieser Punkte auf dem Erdball sind alles andere als Touristenattraktionen, manche sind sogar gefährlich zu besuchen. Alle aber sind sie ungewöhnlich oder seltsam, komisch, bizarr oder poetisch. Website wie Buch sind eine Wunderkammer.

Sehr nützlich ist im Buch das Themenregister. Es reicht von „Abgeschiedene Orte“, über Bäume, Berge und Vulkane, Bibliotheken, Biolumineszenzen, erotische Eigenarten, feurige Orte, gefährliche Pfade, Körperteile ohne Körper, Krypten und Friedhöfe (fast eine Spalte), makabre Museen, Riesenlöcher, schräge Architektur (eineinhalb Spalten), sehr große Dinge, Übernatürliches, Überreste des Kalten Krieges, ungewöhnliche Sammlungen (zwei Spalten), verlassene Städte, verrückte Städte, Wunder der Natur bis Züge und Eisenbahnen.

Erdgeruch mitten in der Stadt

Der Land-Art-Künstler Walter De Maria ist zweimal vertreten (auf der Website viermal): mit dem „Lightning Field“ in New Mexico und den 400 Metallstangen, sowie mit dem „New York Earth Room“. In SoHo – in einer Gegend, in der die Immobilienpreise steigen und steigen – sind im ersten Stock eines Lofts 280.000 Pfund Erde aufgeschüttet. Seit 1977 wird dieses „Grundstück“ wöchentlich aufgelockert und befeuchtet, Erdgeruch mitten in der Stadt.

Mitten in der Karakum-Wüste von Turkmenistan befindet sich das „Tor zur Hölle“. Es entstand 1971, als sowjetische Geologen nach Gas bohrten und dabei in einen riesigen Hohlraum brachen. Der ganze Bohrturm fiel hinein, das Loch entstand, giftige Gase stiegen auf. Um eine Umweltkatastrophe zu verhindern, wurde das Gas angezündet. Der Krater brennt seit nun 46 Jahren.

Eine besondere Verbindung hat die Buch-Co-Autorin Ella Morton zu einem Wunderort in ihrem Heimat Neuseeland. Schon als Kind war sie in den Waitomo-Höhlen, in denen man einen unterirdischen Fluss entlangrudert. Die Decke der Höhle sieht aus wie ein Sternennebel, wie eine Galaxie. Milliarden funkelnder Lichter. Es sind Glühwürmchen im Larvenstadium – ein Nachthimmel aus Insekten.

Als sich das kroatische Künstlerpaar Olinka Vištica und Dražen Grubišić 2003 trennte, machten sie noch Witze darüber, dass sie eigentlich ein Museum einrichten müssten. Drei Jahre später eröffneten sie das „Museum der zerbrochenen Beziehungen“. Dort finden sich Liebesbezeugungen, auch ein Fläschchen vergossener Tränen, eine Axt, eine Beinprothese.

Ein Haus aus Papier muss nicht unbedingt wie ein Kartenhaus sein, das Papierhaus in Rockport nördlich Boston steht seit den 1920-ern und ist stabil. Wände, Dach und sogar die Möbel sind aus gepressten Zeitungen, die mit Klebstoff und Lack stabilisiert wurden. Durch die Lackschichten hindurch sind die damaligen Schlagzeilen erkennbar.

Seit dem Herbst 2017 wird die Website des Projekts um eine weitere Abteilung erweitert: Gastro Obscura heißt das Ortsverzeichnis außergewöhnlicher Speisen und Getränke. Die Weltkarte der derzeit 12.500 obskuren Orte hier.

Alf Mayer

Joshua Foer, Dylan Thuras und Ella Morton: Atlas Obscura. Eine Entdeckungsreise zu den verborgenen Wundern der Welt (Atlas Obscura: An Explorer’s Guide to the World’s Hidden Wonders, 2016). Aus dem Amerikanischen von Kristin Lohmann, Claudia Amor, Johanna Ott. Hardcover, Format 17,5 x 26,6 cm. Mosaik Verlag, München 2017.480 Seiten, ca. 600 Abbildungen und Karten, 34 Euro. Verlagsinformationen.

Die Website von Atlas Obscura hier. Hier zwei Abbildungen aus der US-Buch-Ausgabe:

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