Geschrieben am 28. November 2009 von für Bücher, Crimemag

Jürgen Ebertowski: Blutwäsche

Blutiges Geschäft

Jürgen Ebertowskis Krimi Blutwäsche thematisiert den mörderischen Konkurrenzkampf global operierender Hersteller von Dialyse-Geräten. Von Peter Münder

Vor genau einem Jahr traf ich für ein Interview in Tokio den beeindruckenden Krimi-Großmeister Arimasa Osawa, der in seinen Romanen den Kampf seines eigenwillig operierenden Inspektors Samejima (Hai von Shinjuku) gegen die brutalen Machenschaften der Yakuza beschreibt. Nach den intensiven Recherchen im Rotlicht-Distrikt Shinjuku sollte ein Tagesausflug nach Kamakura für rustikale Abwechslung sorgen. Das am Pazifik gelegene, vielgepriesene „japanische Worpswede“, in einer Stunde mit der Bahn bequem zu erreichen, liegt jedoch nicht in einer flachen Heidschnucken-Senke, sondern im hügeligen Terrain mit schmucken Holzhäuschen, Bambusstauden und engen Gassen, durch die permanent Hunderte von Touristen strömen, die sich die malerischen Tempel ansehen oder mit der romantischen kleinen Lummerland-Schmalspur-Bahn namens Endo fahren wollen.

Der Berliner Krimi-Autor Jürgen Ebertowski recherchierte dort gerade für seinen in Kamakura spielenden Dialyse-Krimi und hatte mir angeboten, die Blutwäsche-Schauplätze und die interessantesten Tempel sowie andere Sehenswürdigkeiten zu zeigen. Das bewältigte er auch so freundlich und kompetent, dass daraus trotz Dauerregen und Touristen-Trubel eine spannende Exkursion wurde. Wir marschierten im strömendem Regen durch die belebte Fußgängerzone, kletterten auf schmalen Pfaden romantische Hügel hinauf, die einen diesigen Blick auf den Pazifik boten, besuchten die an der Bucht gelegene Taro-Kneipe, dessen schmächtiger Wirt im Roman als Kettenschwingender Rambo beschrieben wird und standen plötzlich vor einem Gedenkstein für den deutschen Mediziner und Nobelpreisträger Robert Koch (1843–1910), der hier im Sommer 1908 während seines insgesamt 74-tägigen Erholungsurlaubs auf der Rückreise aus den USA wie ein Nationalheld gefeiert wurde und immer noch sehr verehrt wird. Jedenfalls findet in Kamakura alljährlich im Mai eine große Gedächtniszeremonie für den Bakteriologen statt, der die Menschheit ja tatsächlich von einigen Seuchen erlöst hatte.

Renditen

Für den 60-jährigen Ebertowski war das in Kamakura entdeckte Koch-Vermächtnis der letzte Anstoß, diesen zwischen Berlin, Kamakura, Istanbul und Basel angesiedelten Blutwäsche-Krimi zu schreiben, für den er soeben mit dem Berliner Krimifuchs ausgezeichnet wurde. Vorher hatte er über Bekannte von Pleiten und Pannen aus dem Dialyse-Umfeld erfahren und eruiert, welche gigantischen Renditen die global player einfahren, die Dialyse-Apparate herstellen. Daher steht hier der mörderische Konkurrenzkampf von drei Konzernen aus Japan, Taiwan und China im Mittelpunkt, die sogar Killer anheuern, um allzu neugierige Journalisten auszuschalten, die merkwürdige Pannen und Todesfälle im Dialyse-Umfeld aufklären wollen.

Jürgen Ebertowski ist wahrlich kein 0815-Autor, der sich mit der Beschreibung eines Rachemordes in Wanne-Eickel oder eines tödlichen Eifersuchtsdramas in Kreuzberg begnügen würde. Er lebte sechs Jahre in Tokio, wo er als Sprachlehrer am Goethe-Institut arbeitete, er leitete ein Aikido-Studio in Kreuzberg und bereiste für seine inzwischen 18 Krimis und historischen Romane das Bermuda-Dreieck Berlin-Istanbul-Tokio. Sein Held Eugen Meunier ist als Journalist und Reisebuch-Autor mit exzellenten Japanischkenntnissen dazu prädestiniert, auch mal als Schnüffler zwischen den drei Metropolen Berlin, Istanbul und Tokio einzuspringen, wie in Bosporusgold oder Agentur Istanbul. Auch Krimis mit historischem Hintergrund sind seine Spezialität: Im letzten Jahr lieferte ihm die düstere Berliner Luftbrücken- und Rosinenbomber-Epoche den Hintergrund für Schwarzmarkt- und Geldfälscher-Umtriebe; bereits zum Wiederaufbau der Berliner Nobelherberge Adlon hatte er den Roman Unter den Linden die Nummer eins geschrieben, der die turbulenten politischen Irrungen und Wirrungen während der 1930er Jahre aus der Sicht eines Hoteldetektivs aufrollte.

Dialyse

Im aktuellen Blutwäsche-Krimi erhält der Reisebuch-Autor Eugen Meunier vom Berliner Verlag den Auftrag, einen Band über japanische Städte und Autoren zu schreiben, wozu er dann nach Kamakura aufbricht. Hier trifft er auch den Schweizer Journalisten Gustav Ochsenknecht wieder, der sich regelmäßig einer Blutwäsche unterziehen muss und mit seinen Recherchen über Unregelmäßigkeiten und Todesfälle bei Dialyse-Behandlungen beginnt, als er mit irritierenden Zwischenfällen konfrontiert wird. Als die beiden in Kamakura verfolgt werden und sogar Attentäter auf sie angesetzt werden, wissen sie trotzdem nicht genau, was alles dahintersteckt. Aber der Plot ist in Ebertowskis Romanen eigentlich weniger entscheidend als die Atmosphäre: Kaum ein anderer Autor beherrscht nämlich so perfekt die Kunst, den Leser total in ein völlig anderes, faszinierendes Lokalkolorit eintauchen zu lassen. Mitunter wirken einige Passagen und ironische Bezüge auf das Tantchen, das „Grabbeln“ mit seiner Geliebten allzu betulich und bemüht. Aber was soll’s: Für Spannung, gelungene ironisch eingefärbte Dialoge und für kurzweilige Exkurse über andere kulturelle Gepflogenheiten und historische Hintergründe sorgt Jürgen Ebertowski auch in Blutwäsche wieder.

Peter Münder

Jürgen Ebertowski: Blutwäsche. Roman.
Berlin: Rotbuch Verlag. 224 Seiten 16,90 Euro.