Geschrieben am 22. Juni 2013 von für Bücher, Crimemag

Jürgen Kehrer: Münsterland ist abgebrannt

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– Schrille Typen, kranke Vögel: Nicht nur die Pathologie scheint in den Münsteraner-„Tatort“-Folgen eine ausgeflippte Klapsmühlen-Dependance zu sein, auch Jürgen Kehrers eigenbrötlerischer Privatdetektiv Georg Wilsberg gehört zur Spezies der in Münster hängengebliebenen Außenseiter. Kehrer hat nun für eine neue Krimi-Reihe Kommissar Bastian Matt erfunden. Der muss herausfinden, weshalb plötzlich mehrere Personen auf der Strecke bleiben, die profitable Verbindungen zu einem Pharmakonzern haben. Von Peter Münder.

Der Münsterländer an sich genießt – jedenfalls bei Hundehaltern – den besten Ruf: Der grauschwarz oder auch braunweiß gefleckte Vierbeiner ist nämlich ein exzellenter Jagdhund; er ist ausdauernd, intelligent und treu und neigt weder zu exzentrischen Marotten wie der bayerische Dackel noch zu aggressiven Attacken wie etwa ein blutrünstiger Pitbull-Killer. Doch bei den zweibeinigen Münsterländern sieht es anders aus, jedenfalls in den Wilsberg-Krimis von Jürgen Kehrer, 57, oder in den „Tatort“-Folgen mit dem Schauplatz Münster.

Sympathisch wirkt natürlich der ins Exotische driftende Außenseiterfaktor des gescheiterten Anwalts und Briefmarkenhändlers Georg Wilsberg, der sich auch als Privatdetektiv betätigt: In Münster hat er studiert, ist dann irgendwie hängengeblieben, mental auch noch ganz frisch, aber im realen Haifischbecken dann doch in turbulente Strudel geraten. Auch mit einigen Marotten ist er gesegnet – wer könnte dafür kein Verständnis aufbringen? Kehrers Romane erzielten eine Gesamtauflage von über 700.000, die diversen ZDF-Verfilmungen waren auch erfolgreich.

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Auf zu neuen Ufern

Doch den skurrilen Serienhelden Wilsberg hat Kehrer nun im Band „Münsterland ist abgebrannt“ gegen den bei einem Hausbrand traumatisierten Kommissar Sebastian Matt eingetauscht: „Auf zu neuen Ufern“ lautet offenbar Kehrers Motto. Vielleicht hatte ihn der vor zehn Jahren angestrengte Prozess des Münsteraner Privatdozenten Klaus Siewert genervt, der sich in einem Wilsberg-Krimi als Frauengrapscher denunziert fühlte? Der Spezialist für Geheimsprachen nahm daran Anstoß, dass im Roman eine Figur diese Spezialkenntnisse dazu einsetzte, attraktive Frauen zu betören und sie dann flachzulegen. Siewert hatte den Prozess jedoch verloren, „Wilsberg und der tote Professor“ durfte weiter verkauft werden.

Eine Provinzposse? Wie auch immer – Kehrer wollte den allzu bekannten akademischen Mikrokosmos wohl endlich ad acta legen und hat den Plot nun über den Münsteraner Dunstkreis hinaus bis nach Spitzbergen (zur globalen botanischen Samenbank) und China (für die Suche nach speziellen Heilkräutern in der Vorgeschichte) erweitert.

Herausgekommen ist ein gut lesbarer, spannender und mit etlichen ironischen Pointen angereicherter Mix: Kommissar Matt behauptet sich gut im Clinch mit profilneurotischen Vorgesetzten, er muss aber irritiert zur Kenntnis nehmen, dass die aus China stammende, in Münster ausgebildete Gerichtsmedizinerin Yasi Ana sich zwar auf eine heiße Affäre mit ihm einlässt, aber sehr selbstbewusst alle Modalitäten ihrer Beziehung bestimmen will – das matriarchalische Erbe der von Frauen dominierten Mosuo beeinflusst sie immer noch.

Die Todesfälle, die Sebastian Matt aufklären soll, stehen alle mit dem erfolgreichen Pharmakonzern Lambert in Zusammenhang. Erst findet man den erhängten Privatbankier Mergentheim und geht von einem Selbstmord aus, dann stirbt ein Pharmakologe, der vor seinem Tod von dubiosen Typen observiert wurde. Und hinter den Kulissen stellt die arrogante Lambert-Chefin Helene zusammen mit ihrem Sohn die Weichen: Die unerfreuliche Entstehungsgeschichte der Firma wird verschwiegen, Mitwisser aus alten Uni-Zeiten wurden fürstlich honoriert und in den Betrieb eingebunden – bis eine merkwürdige Öko-Gruppierung den Pharmakonzern ins Visier nimmt.

Die Aktionen dieser skrupellosen Pflanzenwächter wirken zwar ziemlich abstrus, aber Kehrer gelingt es, über einen herkömmlichen 0815-Krimi-Plot geschickt hinauszugehen und die immer stärker in den Fokus geratende Bio-Piraterie zu thematisieren. Damit wäre der verschrobene Eigenbrötler Wilsberg wohl ziemlich überfordert gewesen. Jedenfalls ist sein neuer Held Sebastian Matt ein ausdauernder, kämpferischer und intelligenter Jagdhund – ein zwar neuartiger, aber echter Münsterländer.

Peter Münder

Jürgen Kehrer: Münsterland ist abgebrannt. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2013. 319 Seiten 9, 99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage von Jürgen Kehrer.

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