Geschrieben am 28. April 2005 von für Bücher, Litmag

Jutta Stössinger: Toskana. Ein literarischer Streifzug

Toskana sehen und sterben

Jutta Stössinger hat eine literarische Entdeckungsreise durch eine der schönsten und kulturell reichsten Regionen Italiens geschrieben

In den Jahren als das heute welk gewordene politische Farbenbündnis „Rot-Grün“ vor Glanz strotzte, gab es eine weit verbreitete politische Etikettierung. Lafontaine, Schily, Fischer, Schröder und tutti quanti kannten keine Parteien mehr, sondern nur noch die Toskana.

Die Liebhaber dieser landschaftlich so reizvollen mittelitalienischen Region wurden von den Kommentatoren in den Medien zur sogenannten „Toskana-Fraktion“ ernannt. Gemeint war damit, dass der damals neuen Politikergeneration „Pasta e Vino“, ein gutes Menu mit einem erlesenen Wein, wichtiger war als das stundenlange Absitzen von irgendwelchen Pflichtsitzungen zum Wohle des Gemeinwesens. Es gibt in Europa vielleicht nur wenige Regionen, deren Namen so sehr mit Genuss, Lebensfreude, Farben und Licht verbunden wird wie die Toskana. Auch wenn nur wenige wissen, wo genau denn nun dieses Land, „wo Milch und Honig fließt“ liegt, hat jeder schon irgendwann einmal den Namen Toskana gehört und er hat dann immer einen guten, oft sehnsuchtsvollen Klang.

Kein Postkartenkitsch

Schlägt man das Buch von Jutta Stössinger, der langjährigen Leiterin des Reiseressorts der FR, auf, kann sich der genussfreudige, aber in der Geographie wenig orientierte Leser erst einmal über die Lage seines Sehnsuchtslandes orientieren. Inmitten der hügeligen Toskana liegt die historische und politische Hauptstadt Florenz, während sich Pisa schon in Meeresnähe befindet und Livorno eine Hafenstadt ist. Was das Buch auf den ersten Blick wenig attraktiv erscheinen lässt, erweist sich dann aber als angenehm und zur Lektüre verführend. Man hat ganz auf die bunten und oft verkitschten Gegenlichtaufnahmen der Toskana verzichtet. Stattdessen nur wenige Schwarz-Weiß-Bilder, deren technische Reproduktion allerdings manchmal sehr zu wünschen übrig lässt.

Es handelt sich nicht um eines jener touristischen Reisebücher, von denen die Regale der Buchhandlungen randvoll sind. Es werden keine lukullischen Geheimtipps, keine versteckten Boutiquen, keine unentdeckten Dorfschänken vorgestellt. „Im Spiegel der Literatur soll eine Region mit ihrer Kultur und Geschichte, ihrer Landschaft und ihren Bewohnern betrachtet werden, auch wenn sich der Dichter mitunter selber spielt.“

Es handelt sich, wie im Untertitel angeführt, um einen „literarischen Streifzug“ durch die Toskana, auf dem man Orte kennenlernt, deren Namen man oft noch gar nicht gehört hat, zum Beispiel Vecchiano, das Heimatdorf des berühmten Schriftstellers Antonio Tabucchi. Oder Certaldo, einem scheinbar so vollkommen unbekannten Nest mitten in der Toskana, in dem aber einer der größten Renaissance-Dichter Boccaccio geboren wurde.

Aber natürlich streift die Autorin auch durch die weltbekannten Orte der Toskana, durch Siena, Lucca, Arezzo und in dem längsten Kapitel durch Florenz. Natürlich müsste man eigentlich sehr viel mehr über eine mit Denkmälern, Museen, Kirchen, historischen Plätzen so übervolle Stadt wie Florenz schreiben. Aber gerade in der Bescheidung auf wenige Denkwürdigkeiten und das Bekenntnis der Autorin zum manchmal auch oberflächlich, flüchtig bleibenden Streifzug macht dieses Buch so lesenswert. Man bekommt nach der Lektüre dieser literarischen Streifzüge von Jutta Stössinger eine unbändige Lust, einmal wieder oder vielleicht auch zum ersten Mal in die Toskana zu reisen. Dass man auch ohne den üblichen Postkartenkitsch zu dieser Reise verführt werden kann, zeigt dieses Buch.

Carl Wilhelm Macke

Jutta Stössinger: Toskana. Ein literarischer Streifzug. Klett-Cotta, Stuttgart, 2005, Gebundene Ausgabe, 222 S., 19,00 Euro, ISBN: 3-608-93589-4