Geschrieben am 23. Juni 2012 von für Bücher, Crimemag

Kai Hensel: Das Perseus-Protokoll

Produktive Widersprüche

– Ein Roman zur  politisch-ökonomischen Großwetterlage, der Roman zu den Nachrichten? Griechenland als Thema à la mode? Beinahe, meint Anne Kuhlmeyer über Kai Hensels Debüt, aber dann auch wieder nicht …

Maria Brecht macht mit der Nachbarin und dem fünfjährigen Julian Urlaub auf Kreta. Von Berlin, vom Nachbarinnen-Ex-Mann, einer WG, kasachischen Eltern mit chronischem Geldmangel und dem Schock, für ein Studium der Diplomatie angenommen zu sein. Selbst als ein Fremder Maria in den Bergen bedroht, dauert es eine Weile, bis ich mich mit Sonne und Strand und Alkohol am Abend abfinden kann.

Doch dann zwingt Maria den Mann mit einer erheblichen Verletzung durch ihre Steinwürfe zur Flucht, einen Killer immerhin, der ein wenig zwanghaft, effektiv und auftragsmäßig plant, und obsessiv und lustvoll killt. Rache treibt ihn an, sagt er. Ein so nachvollziehbares Motiv, das den Erfolg seiner Karriere nicht trägt, finde ich. Aber gut. Maria ahnt nur vage, wem sie da begegnet ist. Sie entdeckt einen Koffer in seinem Wagen, der mehr und  mehr an Bedeutung gewinnt und jedermanns Interesse weckt. Sein Inhalt ist so wichtig, dass sie seinetwegen von einem Polizisten Hals über Kopf nach Athen verschickt wird. Die Zeitungen schreiben Lügen über sie und spekulieren über ihre Täterschaft bei einem Mord. Das ohnehin knappe Geld geht ihr aus. Sie gerät in rattenbelagerte Straßen, in springerbestiefelte Demonstrationen, zwischen fliegensurrende Müllberge und auf bekokste Partys der Schönen, Reichen, Mächtigen und Korrupten. Und erfährt von der runden, bissig-komischen Journalistin Eléni, die ihr Identitätsproblem mit dem Gewinn aus der Jahrhundertstory lösen will, von einer Verschwörung und deren Aktionsplan, dem Perseus-Protokoll …

Figuren tun seltsame Dinge

Nein, die Figuren tun nicht ausschließlich Dinge, die ich ihnen abnehme. Ja, der Roman hat erwartungsgemäß Spannung und alles, was er so braucht, wenn Thriller drauf stehen soll. Man könnte sich beinahe zurücklehnen und friedlich-fröhlich vor sich hin gruseln, wären da nicht die boshafte Arroganz der Touristen, der zähe Überlebenskampf der Einwanderer, die barbarische Selbstverständlichkeit der Armut und das kleine Trüppchen derer, die all das nicht hinnehmen wollen – keine Politikerbeteuerungen, keine Sparpakete, keine Vorwürfe, keine Demütigungen, keinen Müll und keinen Chlorgestank. Die Demokratie funktioniert schon lange nicht mehr. Nun bedarf es einer starken, gut manikürten Hand und einer wohlklingenden Führerstimme, um das Land zu retten.

Es brennt …

Kai Hensel erzählt in seinem Debüt die Geschichte einer Gesellschaft, deren demokratische Mechanismen an Korruption und Interessen ersticken. Am Beispiel der Griechen. Ausgerechnet! Den Erfindern der Demokratie. Er erzählt, wie es sein könnte, wenn sich auswirkt, was uns in den letzten Jahrzehnten satt und ignorant gemacht hat. Nicht nur die Griechen. Er stellt Zusammenhänge her, die zwar nicht neu sind, aber wesentlich unseren Alltag bestimmen, unsere Existenz gefährden: Macht, Geld und politische Interessenlenkung, um beides anzuhäufen, was naturgemäß zu irgendjemandes Lasten geht. Und bevor wir unsere Teller leergegessen oder die Beine vom Liegestuhl gehoben haben, brennen die ersten Barrikaden …

Die Geschichte kommt auf der einen Seite leicht, flott, unterhaltsam und durchaus konventionell daher, auf der anderen droht sie mit dem Scheitern, der Diktatur und dem Chaos. Das ist es, was den Roman von vielen Kriminalromanen positiv abhebt und wofür er gelesen gehört.

Anne Kuhlmeyer

Zur Homepage von Anne Kuhlmeyer,

Kai Hensel: Das Perseus-Protokoll. Roman.  Frankfurt: Frankfurter Verlagsanstalt 2012. 315 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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