Geschrieben am 12. April 2007 von für Bücher, Litmag

Karl-Markus Gauß: Zu früh, zu spät

Das „andere Österreich“

Karl Magnus Gauß führt seine Salzburger Chronik fort

Der Gauß. Nur mit dem Artikel genannt zu werden, ist oft eine Art Adelung, die nur wenigen gegönnt ist. Wenn man im deutschsprachigen Verlags- und Mediengewerbe nach einem Autor sucht, der sich im südosteuropäischen Raum auskennt, dann wird man schnell an „den Gauß“ denken. Und tatsächlich hat sich niemand in den letzten Jahren so tief und profund in die Geschichte, die Kulturen, vor allem aber die Literaturen der Regionen und Länder „östlich von Österreich“ eingearbeitet, wie der in Salzburg lebende Karl Magnus Gauß. Aus der Liste der Veröffentlichungen ist ganz besonders die ausgezeichnete Reportage über die „Hundessser von Svinia“ (Wien, 2004) zu erwähnen. Der Band umfaßt nur wenig mehr als hundert Seiten, aber die Schilderungen über die Lebensbedingungen der Roma in der Ost-Slowakei reichen, um bei jedem europäischen Jubelkonzert skeptisch zu sein. Gauß führt uns hier tief hinein in das ‚andere Europa’, in die „Schmuddelecken“ des Kontinents, an die man nicht erinnert werden will, wenn mit Beethovens Neunte Europas Glanz beschworen wird. Aber „der Gauß“ ist auch Herausgeber von „Literatur und Kritik“, der vielleicht wichtigsten österreichischen Literaturzeitschrift, auf deren regelmäßigen Lektüre man nicht verzichten kann, wenn man über die jüngeren (und ältere) österreichischen Schriftsteller informiert werden will. Und – das weiß man aber nur in Österreich – „der Gauß“ ist auch ein kantiger Polemiker gegen den grenzüberschreitenden Zeitgeist, der sich mit großer Leidenschaft dem jeweiligen ‚Mainstream’ entgegenstemmt. Übel genommen haben es ihm zum Beispiel viele seiner „68er Altersgenossen“ in Österreich, daß er sich der beliebten Schmäh gegen das eigene Land verweigert und statt auf Haider einzuschlagen lieber auf das andere, oft vergessene, vielleicht auch konservative, aber auf jeden Fall ‚weltoffene Österreich’ verweist.
„Der Gauß“ hat jetzt schon zum dritten Mal ein Journal mit tagesaktuellen politischen wie privaten Aufzeichnungen vorgelegt, in dem er festgehalten hat, was ihn im Zeitraum von zwei Jahren (2003 – 2005) so alles bewegt und geärgert hat. Passagen gibt es da, die man bei der Lektüre ruhig überspringen kann, weil sie politische Statements enthalten, die so oder ähnlich auch von anderen (deutschen) Intellektuellen formuliert worden sind (z.B. zum Irak-Krieg). Auch manche innerösterreichische Querelen sind – für einen deutschen Leser – von mäßigem Interesse. Das Porträt seines Vorgängers als Chefredakteur der Zeitschrift „Literatur und Kritik“ – der Gauß heftig befehdete – besticht zwar durch bewundernswerte Empathie für einen Gegner, ist aber auch für einen deutschen Leser nicht von großem Interesse. Sehr gelungen sind aber die geduldigen Annäherungen von Gauß an wichtige intellektuelle Portalfiguren seines Schreibens: an den linksliberalen Jean Amery, an den querköpfigen Anti-Stalinisten Manuel Sperber, an den konservativ katholischen Reinhold Schneider, oder an den „weltfreundlichen“ lyrischen Einzelgänger Robert Lax, auf dessen Spuren Gauß anläßlich eines Urlaubs auf der griechischen Insel Patmos stößt. Diese Namen zeigen, wie sehr Gauß versucht, durch den Dschungel des Zeitgeistes und des schnellen Vergessens eine eigene Schneise der Erinnerung und intellektuellen Orientierung zu finden. Bewegend auch die Abschiedszeilen, der Karl Markus Gauß verstorbenen Freunden, vor allem aber seiner Mutter widmet. „Man kommt im Leben zu einem Augenblick“ hat Italo Calvino einmal geschrieben, „da unter den Menschen, die man gekannt mehr Tote als Lebende sind“. Gauß gehört dieser Generation noch nicht an, aber man spürt auch bei ihm , daß sich die Zahlen langsam zu den bereits Verstorbenen neigen…Lesenwert auch die immer wieder eingestreuten Polemiken – oft sind es schon Verzweiflungsseufzer – gegen den in unseren Städten herumwütenden Kommerzialismus. „Was eine Stadt ausmacht: Menschen, die dort nicht bloß durchgeschleust oder als dankbare Jubelmasse in Verwendung genommen werden, sondern leben, das gibt es kaum mehr. Die Hetze, mit der Salzburg von einem Spektakel ins nächste gejagt wird, die Brutalität, mit der die Bewohner der öffentlichen Räume enteignet werden, haben sie in die Flucht geschlagen.“ Man kann hier Salzburg durch Frankfurt, Köln oder München ersetzen…Dass die Zeiten, in denen wir nun mal leben, wahrlich ernst und traurig sind, spürt man aber auch an diesem Journal von Karl Markus Gauß. Da gibt es auf über 400 Seiten vielleicht zwei, drei Eintragungen, in denen Spurenelemente von Ironie oder ein Hauch von Selbstironie aufblitzen. Es gab einmal, daran wird auch in diesem Journal erinnert , eine „widerspenstige und gleichzeitig witzige österreichische Aufklärung“. „Der Gauß“ steht zweifelsohne in der besten widerständigen, eigensinnigen, unabhängigen Tradition der österreichischen Aufklärung. Der Witz aber scheint auch ihm abhanden gekommen zu sein. Alles, was Gauß in den zwei Jahren seinem Notizbuch anvertraut hat, scheint ihm, um Mandelstamm zu zitieren, „zum Weinen vertraut“. Aber das kann doch nicht alles gewesen sein, was dem Autor zwischen 2003 und 2005 in Salzburg, in Österreich, in Europa so alles an trotzdem Lebenswertem aufgefallen ist…

Carl Wilhelm Macke

Karl-Markus Gauß: Zu früh, zu spät. Zwei Jahre. Zsolnay-Verlag, Wien, 2007, 410 S., 24,90 Euro, ISBN: 3552053972